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Pflegereform:Regierung tut viel zu wenig

Bereits jede/r vierte Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich in Niederösterreich denkt an einen Berufswechsel. Die Beschäftigten sind körperlich und psychisch erschöpft, obwohl sie ihre sinnvolle Tätigkeit schätzen. Die laufend anwachsenden beruflichen Belastungen sind eine wesentliche Ursache dafür.

Das sind die Ergebnisse einer von der AK Niederösterreich beauftragten Studie des wissma-Marktforschungsinstituts unter 2.900 Beschäftigten des Gesundheits- und Pflegepersonals, die im Dialogforum „Versorgungssicherheit in der Pflege“ am Donnerstag vorgestellt und diskutiert wurde. 

„Wir brauchen endlich nachhaltige Lösungen für die Arbeitnehmer:innen im Gesundheits- und Pflegebereich. Das betrifft Arbeitsbedingungen, das Personal und natürlich auch das Entgelt“, sagt AK Niederösterreich-Präsident und ÖGB Niederösterreich-Vorsitzender Markus Wieser. „Die Bundesregierung hat eine Pflegereform groß angekündigt, sie ist weder bei den Beschäftigten noch bei den betroffenen Familien angekommen. Das ist ein Zustand, der nicht hinzunehmen ist“, so Wieser, der betonte: “Mir ist besonders wichtig, wie es den Arbeitnehmer:innen im Gesundheitssystem geht. Denn sie gehören zu denen, die das Land am Laufen halten.“

PFLEGENOTSTAND IST REALITÄT

„Österreichs Bevölkerung wächst beständig, und wir werden auch immer älter, aber nicht unbedingt gesünder“, so AK Niederösterreich Vizepräsidentin Gerda Schilcher in ihren einleitenden Worten beim Dialogforum. „Bis 2030 brauchen wir 76.000 zusätzliche Pfleger:innen, und das ist erst der Anfang. Tatsächlich haben wir heute schon einen „Pflegenotstand“. 

Bernhard Rupp, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik der AK Niederösterreich, verwies auf die große Belastung pflegender Angehöriger. Sie benötigen mehr Unterstützung. Zudem wollen laut Umfragen die meisten Menschen im Falle von Pflegebedürftigkeit in den eigenen vier Wänden bleiben. Hier müsste es passende Unterstützungen u.a. für pflegegerechte Umbauten geben. 

Katja Meier-Pesti, Geschäftsführerin der wissma Marktforschungs GmbH, die mit der Umfrage der Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich beauftragt worden war, legte die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung vor. Demnach denken 9 Prozent der insgesamt 2.900 Befragten täglich an Jobwechsel, ein Viertel denkt zumindest einmal pro Woche daran. Wobei viele der Befragten sich „den Job schönreden“, weil sie kaum Alternativen kennen. Diese „Resignative Arbeitszufriedenheit“ ist gut für die psychische Stabilität, weist aber auf eine noch höhere Belastung der Beschäftigten hin.

41 Prozent der Befragten glauben nicht, dass sie ihren Beruf bis zur Pension ausüben können. Gewünscht werden von den Pflegekräften neben einem höheren Einkommen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, kürzere Arbeitszeiten bei vollem Gehalts- und Personalausgleich sowie berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten.

Monika Riedel Senior Researcher und Sprecherin für Pflege am IHS betonte, dass die Anzahl der Pensionsbezieher:innen in den kommenden Jahre und Jahrzehnte im Vergleich zu den Beschäftigten übermäßig steigen wird. Um den „Generationenvertrag“ weiter einzuhalten muss es ausreichend viele (junge) Erwerbstätige geben, die ausreichend produktiv sind.  

WAS ES BRAUCHT

Bei der Podiumsdiskussion „Was braucht es für eine sichere Pflegeversorgung“ war eine hochkarätige Runde versammelt. Neben Monika Riedel vom IHS, Vizepräsidentin Gerda Schilcher und Abteilungsleiter Bernhard Rupp diskutierten unter Leitung von Moderator Gerald Gross Ulrike Königsberger-Ludwig, Landesrätin für Soziale Verwaltung, Gesundheit & Gleichstellung, sowie Migrationsforscherin Gudrun Biffl. 

Vor allem ging es in der Diskussion um strukturelle und konkrete Änderungen der Rahmenbedingungen für Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich, um diese Berufe attraktiver zu machen. 

Eine andere Art der Ausbildung für Pfleger:innen ist zum Beispiel notwendig, um den Betroffenen eine langfristige Karriereplanung zu ermöglichen. In anderen Ländern lernen Pflegekräfte Tätigkeiten, die bei uns in Österreich ausschließlich Ärzt:innen machen dürfen.

Als Verbesserungen würden sich auch bessere Entlohnung während der Ausbildung, Dienstplansicherheit und bessere Bezahlung bzw. 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich anbieten.

DIE ERGEBNISSE 

Die Beschäftigten im niederösterreichischen Gesundheits- und Pflegebereich schätzen die abwechslungsreiche und sinnhafte Arbeit im Team und sind erfüllt von der Dankbarkeit ihrer Patient:innen und Klient:innen. Aber sie sind frustriert über die schlechten Rahmenbedingungen: Sie müssen immer mehr Aufgaben meistern – bei gleichem Personalschlüssel und Gehalt. 

Berufsausstieg: 41 Prozent der Befragten glauben, dass sie ihren Beruf wahrscheinlich nicht bis zur Pension ausüben können. Jede:r vierte Beschäftigte im niederösterreichischen Gesundheits- und Pflegebereich denkt zumindest einmal pro Woche daran, den Beruf zu wechseln.  

Krankmachende Arbeitsbedingungen: 38 Prozent fühlen sich nach einem Arbeitstag immer oder sehr oft körperlich erschöpft – im Bereich der Langzeitpflege trifft dies sogar auf jede zweite Person zu. Jede:r dritte Befragte klagt über Rückenschmerzen (Langzeitpflege: 40 Prozent) und psychische Erschöpfung und jede:r Fünfte hat Schwierigkeiten einzuschlafen. 

Körperliche Übergriffe oder Gewalt sind besonders in der Behindertenarbeit ein Problem – jede:r dritte Beschäftigte erlebt dort zumindest einmal im Monat körperliche Übergriffe. Auch Verständigungsprobleme gehören zum Alltag: 39 Prozent haben zumindest einmal in der Woche Probleme in der Verständigung mit Patient:innen, Angehörigen oder Kolleg:innen. 

Arbeitszeit: Zwei Drittel der Befragten arbeiten in Teilzeit. Sechs von 10 Befragten geben an, normalerweise mehr Stunden als vereinbart zu arbeiten. 

Zufriedenheit: All dies führt dazu, dass nur ein Drittel der Befragten (äußerst) zufrieden mit der derzeitigen beruflichen Situation im Gesundheits- und Pflegebereich in Niederösterreich ist. 

Die Beschäftigten wünschen sich ein höheres Einkommen – auch als Zeichen der gesellschaftlichen Anerkennung -, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, kürzere Arbeitszeiten (bei vollem Gehalts- und Personalausgleich) und berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten. 

DAS FAZIT 

Mit den Ergebnissen der Umfrage können fundierte Aussagen über einzelne Berufsgruppen im Gesundheitswesen, der Langzeitpflege und Behindertenbereich getroffen werden, die die Grundlage für längst überfällige Reformen sind. 

„Die Umfrage zeigt klar: Bessere Bezahlung und attraktivere Arbeitsbedingungen sind unerlässlich, um den Bedarf an Pflegekräften zu decken“, so Markus Wieser. „Angesichts des Pflegenotstands müssen die Beschäftigten motiviert werden, um im Beruf zu bleiben. Ausbildungsoffensiven allein werden nicht reichen. Es braucht dringend bessere Rahmenbedingungen.“ 

UNSERE FORDERUNGEN 

Die Umfrage zeigt die zentralen Probleme auf, um daraus dringend notwendige Maßnahmen für bessere Rahmenbedingungen abzuleiten. Die AK Niederösterreich fordert: 

•Nachhaltige Finanzierung der Gehaltserhöhungen statt zeitlich befristetem „Pflegebonus“, der nicht alle Berufsgruppen umfasst. 

•„Entlastungswoche“ ohne Wenn und Aber 

•Leichterer Zugang zur Schwerarbeitspension für Gesundheits- und Sozialbetreuungsberufe: Anerkennung von berufsbedingter Arbeit an kranken, beeinträchtigten und pflegebedürftigen Menschen als Schwerarbeit aufgrund der psychischen Belastung 

•Verbesserung der Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten durch niederschwellige und leistbare Angebote 

•Bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Pflegebereich durch stabile Dienstpläne, verbindliche Mindestkriterien für Personaleinsatzplanung (Stichwort: keine Nachtdienste allein!) und Milderung der Arbeitsverdichtung 

•Erweiterung der fachlichen Selbstständigkeit (des Kompetenz- und Tätigkeitsprofils) akademischer nicht-ärztlicher Berufsgruppen und Sicherstellung der Abrechenbarkeit der Leistungen dieser Berufsgruppen mit Sozialversicherungsträgern 

•Flächendeckende Unterstützungsangebote bei Defiziten z. B. bei der Sprachkompetenz 

•Dringende Umsetzung der „AusbildungsGmbH“ für Gesundheitsberufe, zur Sicherung eines angemessenen Einkommens, des Erwerbs von Versicherungszeiten und des Arbeitnehmer:innenschutzes von Schüler:innen und Studierenden.

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