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ANTON MATTLE im Exklusivgespräch mit dem Brücke-Magazin

Meine Politik besteht darin, für alle TirolerInnen da zu sein

Österreichs Bundesland mit der fünftgrößten Population wird seit Oktober von der Regierung Anton Mattle geführt. Die Regierungskoalition, bestehend aus der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und den Sozialdemokraten konzentriert sich vor allem auf die Umweltpolitik. Ihre Agenda beschränkt sich aber nicht nur darauf. Als das Bundesland mit der fünftgrößten türkischstämmigen Population hat Tirol zugleich eine große Bedeutung in der Migrationspolitik. Mit Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) haben wir über das Programm der Regierung und ihre Politik gegenüber der türkischstämmigen Bevölkerung gesprochen.

WIR MÖCHTEN EINE POLITIK MACHEN, DIE MÖGLICHST VIELE EINBINDET

Sie sind noch nicht einmal seit einem Jahr in der Regierung. Wie bewerten Sie Ihre bisherige Amtszeit?

Mich freut, dass die sachliche, unaufgeregte und konstruktive Arbeitsweise der neuen Regierung bei den Menschen gut ankommt und sie diese auch schätzen. Inhaltlich haben wir einen Schwerpunkt auf die Energiewende gelegt, denn sie ist unsere Chance, uns unabhängig zu machen und unseren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Tirol ist beim Kampf gegen die importierte Teuerung den anderen Bundesländern einen Schritt voraus. Wir haben den treffsicheren Tirol-Zuschuss, der 70.000 Haushalte bis in den Mittelstand hinein unterstützt. Gleichzeitig haben wir eine Schuldenbremse beschlossen, um zur verantwortungsvollen Budgetpolitik zurückzukehren. Damit ist und bleibt Tirol Musterschüler in der Finanzpolitik. Ich bin auch froh, dass ich wieder eine Gesprächsbasis mit Bayern und Markus Söder aufbauen konnte. Mit dem Verkehrsgipfel in Kufstein und einer gemeinsamen Erklärung zur Einführung eines Slot-Systems ist in der Transitpolitik ein Paradigmenwechsel gelungen.

Für die ÖVP fanden die letzten Landtagswahlen in einer Krisenzeit statt, ihre Stimmen fielen um fast 10 Prozentpunkte. Hat sich die Lage nun wieder beruhigt? Kann der Sturz wieder umgekehrt werden? Oder besser gesagt: Wie wird der Sturz umgekehrt?

Ich verschließe nicht die Augen vor der Realität. Vor unserem Wahlergebnis stand ein dickes Minus. Und auch wenn 34,7% bei jeder anderen Partei Jubelstürme auslösen würde: Wir legen an uns selbst einen höheren Anspruch, weil wir eine Politik machen möchten, die auf einem breiten Fundament steht und möglichst viele einbindet. Wir arbeiten in der Tiroler Landesregierung, im Landtag, in den Gemeinden und draußen bei den Menschen Tag für Tag daran, Vertrauen zurückzugewinnen und mit Inhalten, Konsequenz und bürgerlicher Politik zu überzeugen.

EIN KLEINES SONNENKRAFTWERK AUF JEDEM DACH

Wir sehen, dass die Landesregierung großen Wert auf Energiepolitik legt. Welche Ziele schweben Ihnen hier vor?

Bei unserer ersten Regierungsklausur der neuen schwarz-roten Landesregierung haben wir uns ganz zentral dem Energiethema gewidmet. Wir haben dabei etwa beschlossen, dass wir einen Fördercall für Photovoltaik-Großanlagen bzw. deren Unterkonstruktion auflegen – der erste Fördercall läuft bereits. Er soll zum Beispiel Unternehmen animieren, PV-Anlagen auf Parkplätzen oder Lagerflächen zu errichten, damit diese Flächen auch für die Energiegewinnung genutzt werden. Viele Haus- und Firmendächer und sonstige versiegelte Flächen sind nämlich bis dato noch ungenutzt. Und genau da wollen wir ansetzen. Möglichst jedes Dach in Tirol soll ein kleines Sonnenkraftwerk werden. Daneben setzen wir auch weiterhin auf die Wasserkraft. Und: Es darf auch darüber hinaus keine Denkverbote geben. Auch wenn die Windkraft in Tirol kein so großes Potential wie im Osten Österreichs hat, werden wir dennoch mithilfe einer Studie das Windkraftpotential in Tirol im Detail prüfen.

UNSERE LÄNDER HABEN TRADITIONELL STARKE BEZIEHUNGEN

Die Türkeistämmigen wählen vermehrt die ÖVP. Wird es in naher Zukunft bei der Unterstützung bleiben?

Als Landeshauptmann bin ich für alle Menschen da, die in unserem schönen Land leben. Es ist mir wichtig, auf die Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund in unserem Land zuzugehen. An einem guten Kontakt vor allem auch zur türkischstämmigen Bevölkerung bin ich sehr interessiert, denn ich spüre hier einen großen Wunsch nach einem bürgerlichen, leistungs- und eigentumsfreundlichen aber auch solidarischen politischen Angebot. In unserem Land Tirol soll jede und jeder, die bzw. der fleißig, engagiert und bemüht ist, eine Chance auf Erfolg haben. Es gilt, alle zu unterstützen, die Hilfe brauchen – ganz egal, welche Herkunft sie haben. Aber auch eine gute Integration aller in unsere Gesellschaft ist mir sehr wichtig. Dafür braucht es das Bemühen und die Bereitschaft aller Beteiligten.

Tirol ist eines der Bundesländer mit der größten türkischstämmigen Population in Österreich. In den letzten Jahren haben sich die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern positiv entwickelt. Wie wirkt sich dies auf Tirol aus?

Je mehr wir aufeinander zugehen, desto besser gelingt auch das Zusammenleben und die Zusammenarbeit in unserem Land. Unsere Länder haben traditionell starke Beziehungen und darauf kann man auch in Zukunft aufbauen.

Eines der vieldiskutierten Themen auf europäischer Tagesordnung ist aktuell Migration. Mit dem neuen Migrationspaket beabsichtigt die Europäische Union, eine gerechtere, solidarische Herangehensweise zu entwickeln. Wie bewerten Sie als Landesregierung diese Pläne?

EIN UNGEBREMSTER ZUZUG BRAUCHT GRENZEN

Österreich und auch Tirol haben sich im europäischen Vergleich immer solidarisch gezeigt. Ich bin dafür, dass wir jenen helfen, die unsere Hilfe dringend benötigen. Einen ungebremsten Zuzug kann und soll es bei uns aber auch weiterhin nicht geben. Dafür braucht es auch Grenzen. Denn die Akzeptanz der Bevölkerung ist wesentlich und darauf müssen wir beim Thema Migration besonders achten.

Nicht zuletzt ist Migrations- und Integrationspolitik eine praktische Aufgabe der Landesregierung. Wie ist hier die Zusammenarbeit mit den Kommunalverwaltungen? Welche Rückmeldungen erhalten Sie von diesen?

Gerade als es in den letzten Jahren darum ging, Menschen auf der Flucht zu helfen, haben viele Menschen und Gemeinden Verantwortung übernommen und sich engagiert. Ich möchte die Gelegenheit auch nützen, um mich bei genau diesen engagierten Menschen und Gemeinden zu bedanken. Ich war lange Bürgermeister und weiß, dass es in einem weiteren Schritt dann immer auch um Integration geht. Und das ist ein Thema, woran alle Beteiligten arbeiten müssen. Integration gelingt dann, wenn sich die Menschen bei uns und die Bevölkerung mit ihnen wohlfühlen. Deshalb kann Integration nie eine Einbahnstraße sein, es braucht immer alle Seiten, die aufeinander zugehen und tagtäglich an einem guten Miteinander arbeiten.

Wie viele Türkeistämmige leben in Tirol? Wie sind Ihre Beziehungen zur türkischen Gemeinschaft? Hat die türkische Gemeinschaft spezifische Probleme? Welche Lösungen haben Sie diesbezüglich parat?

Insgesamt leben in Tirol rund 11.350 Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft. Knapp 17.000 Menschen, die in Tirol leben, wurden in der Türkei geboren. Das entspricht rund 2,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Damit ist die türkische Gemeinschaft, nach Zuwanderinnen und Zuwandern aus Deutschland, die zweitgrößte Gruppe mit internationalem Hintergrund in Tirol. Meine Beziehung zur türkischen Gemeinschaft, insbesondere zu türkischstämmigen Unternehmern, ist sehr gut. Meine Politik besteht darin, für alle Tirolerinnen und Tiroler, egal woher sie stammen, da zu sein. Egal ob Menschen aus der Türkei kommen oder hier geboren wurden, sie alle sind von den gleichen Herausforderungen betroffen: Teuerung, Klimawandel und Arbeitskräftemangel. Ich setze mich Tag für Tag ein, Lösungen für diese Herausforderungen zu finden – für alle Personen, die in Tirol leben.

DAS BRÜCKE MAGAZIN ÜBERZEUGT MIT SPANNENDEN INHALTEN

In Tirol gibt es zwei „Migrantenzeitungen“. Beide haben Türkeistämmige als Zielgruppe. Inwieweit helfen diese Ihnen bei der Kommunikation mit der türkischen Gemeinschaft?

Kommunikation ist in der Politik wichtig. Jedes Medium, mit dem die Bevölkerung erreicht werden kann, ist wichtig. Mein Ansatz lautet: Tue Gutes und sprich darüber. Ich persönlich finde, dass es etwas zu kurz gegriffen ist, die Medienlandschaft in Migrantenzeitungen und Nicht-Migrantenzeitungen einzuteilen. Jedes Medium in Tirol muss seinen Platz haben und ist für sich genommen sehr wichtig. Das Brücke Magazin überzeugt mit spannenden Inhalten und das ist in der Medienwelt das Wichtigste.

Haben Sie ein Budget für „Migrantenzeitungen“? Planen Sie diese in nächster Zeit noch mehr zu verwenden?

Bei der Vergabe von öffentlichen Mitteln für Werbemaßnahmen gibt es ganz klare gesetzliche Kriterien, an die sich das Bundesland Tirol transparent und auf Punkt und Beistrich hält. Bei Kampagnen analysieren die Fachexpertinnen und Fachexperten unserer Verwaltung stets, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen und mit welchem Medienmix dies umgesetzt wird. Und nach diesen Fachkriterien wird dann die Kommunikation durchgeführt – dies gilt selbstverständlich auch für alle Migrantenzeitungen in unserem Land. Als Landeshauptmann nehme ich hier keinen Einfluss.

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