Niederösterreichs Landeshauptfrau im Gespräch mit Brücke
Von den zehn Bundesländern Österreichs fällt auf Niederösterreich eine besondere Bedeutung zu: Flächenmäßig als größtes Bundesland besitzt Niederösterreich außerdem die zweitgrößte Population. Und seine Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner ist keine Unbekannte in der Politik: Nach etwa 8 Jahren als Landrätin, bekleidete sie in zwei Bundesregierungen Werner Faymanns das Amt der Innenministerin. Seit 2017 ist sie zurück in Niederösterreich: Im Gespräch mit Brücke spricht die Landesobfrau der Volkspartei über die letzten Landtagswahlen und die Agenda der neuen Landesregierung.
REGIERUNGSBILDUNG IN ZEITEN DER HERAUSFORDERUNG
In der Vergangenheit haben Sie bereits zwei Mal das Amt der Landeshauptfrau ausgeführt. Wie empfinden Sie die Verantwortung?
Landeshauptfrau von Niederösterreich zu sein empfinde ich als schönste Aufgabe, die es in der österreichischen Politik gibt. Ich bin glücklich und stolz, in dieser Funktion für mein Heimatland arbeiten zu dürfen.
Zweifellos gehört Niederösterreich sowohl flächenmäßig als auch einwohnerbezogen zu den bedeutendsten Bundesländern. Welche Aufgaben stehen dahingehend der Landesregierung bevor?
Im Vergleich der Bundesländer ist Niederösterreich nicht nur das größte Bundesland, sondern wir sind auch das Bundesland mit dem höchsten Haushaltseinkommen und der größten Kaufkraft aller Bundesländer. Und wir sind auch die Region mit der niedrigsten Armutsgefährdung. Aber natürlich, wir alle befinden uns derzeit in einer Zeit mit vielen globalen Herausforderungen, von Teuerung und Inflation bis hin zum Klimawandel. In so einer Zeit haben wir vor allem zwei Aufgaben. Zum Ersten, unsere Landsleute gut durch diese krisenhafte Zeit zu bringen, mit finanziellen Unterstützungen wie den niederösterreichischen Stromkostenzuschuss oder das blau-gelbe Schulstartgeld. Zum Zweiten müssen wir gerade jetzt zukunftsträchtig investieren, etwa in die Kinderbetreuung, in Forschung und Wissenschaft oder in die Infrastruktur, von Schiene und Straße bis hin zu Breitband.
Ihre dritte Amtszeit sind Sie im März dieses Jahres angetreten, doch die Wahlen haben Sie beinahe zehn Prozentpunkte gekostet. Wie war Ihre Wahlanalyse?
Glauben Sie mir, ich hatte in meiner politischen Karriere schon viele Herausforderungen zu meistern. Aber ja, die vergangenen Landtagswahlen waren wohl die schmutzigsten Wahlen, die Niederösterreich je erlebt hat. Bei den anschließenden Koalitionsverhandlungen hat sich die SPÖ als ehemals staatstragende Partei einer Zusammenarbeit verweigert. Um Neuwahlen zu verhindern und aus Verantwortung für unser Land mussten wir eine Zusammenarbeit mit der FPÖ eingehen. Da bin ich auch persönlich über meinen Schatten gesprungen. Es war aber ein alternativloser und richtiger Schritt!
‚ICH BIN KEINE SITTENWÄCHTERIN‘
Ihre Regierung stand schon kurz nach der Bildung in Kritik, vor allem mit Blick auf Christoph Luissers Forderung zu „Grenzzäunen“. Was wird in naechster Zeit auf die Politik zukommen? Wie wollen Sie in der Bevölkerung punkten?
Ich denke, für die Bevölkerung ist vor allem eines entscheidend: Dass in der Landesregierung angepackt und gearbeitet wird. Das ist vor allem jetzt wichtig, weil wir in diesen herausfordernden Zeiten vor allem zur sozialen Absicherung aller Landsleute beitragen müssen. Wir tun das mit Maßnahmen wie dem Wohnzuschuss, dem Schulstartgeld oder auch der Abschaffung der GIS-Landesabgabe. Außerdem kommt der Pflegetausender ab Oktober jenen Pflegebedürftigen zugute, die zu Hause betreut werden. Alleine die GIS-Landesabgabe bringt der Bevölkerung 41 Millionen Euro Entlastung, während andere Bundesländer daran festhalten. Und weil Sie auch die Positionierung der FP-Mitglieder der Landesregierung ansprechen: Ich bin keine Sittenwächterin, sondern Landeshauptfrau von Niederösterreich. Ich werde mich auch nicht am Empörungs-Ping-Pong zwischen den linken und den rechten Rändern beteiligen. Entscheidend ist für mich das Arbeitsübereinkommen, das wir als Rahmen unserer Zusammenarbeit festgelegt haben. Hier ist zum Beispiel auch der Kampf gegen den Antisemitismus verankert. In Sachen Integration ist es uns wichtig, dass auf das Erlernen der deutschen Sprache Wert gelegt wird. Integration benötigt die Bereitschaft auf beiden Seiten, wesentlich sind auch die Achtung und der Respekt vor unserer Kultur, die Einhaltung unserer Gesetze, auch die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Grundregeln, deren Befolgung man einfach von allen erwarten kann: Landsleute, Gästen und Zuwanderern.
Als erfahrene Politikerin fallen große Aufgaben auf Sie zu. Wie helfen Ihnen Ihre Erfahrungen in der Bundespolitik, dieser Verantwortung gerecht zu werden?
Ja, ich durfte schon auf vielen Ebenen politisch tätig sein, aber jedes politische Amt bringt viel Verantwortung mit sich, und diese Verantwortung trage ich sehr gerne.
EINE LANDESHAUPTFRAU MIT GERINGEM TATENDRANG?
Der Finanzausgleich steht aktuell prominent zur Diskussion. Worauf kommt es hier zwischen den Ländern an?
Jetzt geht es in den Verhandlungen vor allem darum, was wir an Geldmittel für die nächsten Jahre zur Verfügung bekommen, damit wir alle unsere Aufgaben auch in Zukunft erfüllen können. Denn die Aufgaben der Länder und Gemeinden sind in den vergangenen Jahren massiv angestiegen und somit auch die Ausgaben in diesen Bereichen. Es handelt sich hier um Daseinsvorsorge wie Pflege, Gesundheit oder Kinderbetreuung. Da ist es für jeden nachvollziehbar, dass hier die Ausgaben gestiegen sind. Darum braucht es hier die entsprechenden Geldmittel, um diese Daseinsvorsorge auch weiterhin leisten zu können.
Ihre Koalitionspartnerin SPÖ kritisierte Sie noch im September, geringen Tatendrang in Bezug auf Kinderbetreuung zu zeigen. Wie soll das Problem gelöst werden?
Diesen Vorwurf weise ich ganz entscheidend zurück. Das Land Niederösterreich nimmt in den nächsten Jahren, gemeinsam mit den engagierten Gemeinden, 750 Millionen Euro für die blau-gelbe Kinderbetreuungsoffensive in die Hand. Ich denke, das ist ein deutliches Zeichen, mit dem wir unseren Familien zeigen, was sie und ihre Kinder uns wert sind. Wir investieren nicht nur in die Infrastruktur, wir reduzierten darüber hinaus auch die Schließtage, und in Pilotkindergärten in 15 Gemeinden werden jetzt auch Zweijährige betreut. Ein wichtiger Schritt, um die Karenzlücke zwischen zwei und zweieinhalb Jahren ab 2024 schließen zu können – denn bis dann wollen wir das Einstiegsalter von zwei Jahren flächendeckend umsetzen. Besonders betonen möchte ich hier, dass Niederösterreich schon jetzt bei den unter Dreijährigen bei einer Betreuungsquote von über 30 Prozent und damit über dem Österreichschnitt liegt, bei den Drei- bis Fünfjährigen sind wir sogar österreichweit die Nummer eins. Wir schrauben aber nicht nur am Angebot, sondern auch an der ohnehin schon sehr hohen Qualität der niederösterreichischen Kindergärten, indem wir kleinere Gruppen und einen besseren Betreuungsschlüssel anbieten. Sie sehen: Die Kritik geht ins Leere. Wichtig ist mir aber auch, zu betonten, dass bei all den tollen Angeboten, die nun am Tisch liegen, die Wahlfreiheit in Niederösterreich aufrecht bleibt. Es geht uns nicht um Pflicht oder Vorschriften zur Betreuung, sondern um die Möglichkeit und die bestmögliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
EINE EINZIGARTIGE STRUKTUR: DIE LANDESGESUNDHEITSAGENTUR
Auch das Thema Gesundheit wird in Europa insbesondere mit Blick auf den Personalmangel viel diskutiert. Welche Politik führen Sie, um hiergegen vorzugehen?
Ja, es stimmt, die Herausforderungen im Gesundheitsbereich sind groß. In Niederösterreich haben wir hier einen ganz entscheidenden Vorteil, denn mit unserer Landesgesundheitsagentur haben wir eine einzigartige Struktur geschaffen, mit der wir Gesundheit und Pflege unter einem Dach denken können. 27 Landeskliniken sowie 50 Pflege-, Betreuungs- und Förderzentren mit 27.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind hier unter einem gemeinsamen Dach vereint. Damit können wir uns auch als attraktiven Arbeitgeber positionieren, etwa durch regionale Arbeitsplätze nahe dem Wohnort, Kinderbetreuung in allen Regionen oder auch mehr Durchlässigkeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Tatsache ist natürlich, laut Studien brauchen wir bis 2030 alleine in Niederösterreich 9.500 Pflegekräfte. Mit heimischen Kräften alleine wird das nicht zu bewerkstelligen sein, darum haben wir auch ein Pilotprojekt gestartet, um Pflegekräfte aus Vietnam nach Niederösterreich zu holen. Und im Rahmen unseres blau-gelben Pflegepaketes gibt es für Auszubildende 600 Euro monatlich als finanzielle Unterstützung, für Berufsumsteiger gibt es ein Pflegestipendium von 1.400 Euro monatlich.
Auch der Bevölkerung gegenüber versprachen Sie Hilfsleistung in Bezug auf Strom, Energie und andere Aspekte. Wie war die Resonanz der Bevölkerung darauf? Wie viele Haushalte und Personen haben Zuschüsse beantragt?
Die Teuerung stellt derzeit wirklich viele vor große Herausforderungen. In Niederösterreich haben wir in den letzten Monaten schon sehr viele Maßnahmen gesetzt, um die Menschen gut durch diese schwierige Zeit zu bringen. Wir sind sogar das Bundesland, das mehr getan hat als jede andere Region Österreichs. Denke hier etwa an das blau-gelbe Schulstartgeld, das im Vorjahr rund 186.000 Kindern und Jugendlichen zu Gute gekommen ist, oder an den niederösterreichischen Strompreisrabatt. Im Bereich des Wohnens haben wir im Frühling über 350.000 Haushalte in Niederösterreich mit dem Wohn- und Heizkostenzuschuss unterstützt. Und wir haben auch die GIS-Landesabgabe abgeschafft, alleine durch diese Maßnahmen ersparen sich die Niederösterreichinnen und Niederösterreicher insgesamt rund 41 Millionen Euro.
‚JA, WIR HELFEN WEITER‘
Die Landesregierung versprach in jüngster Zeit weitere Unterstützungen. Welche weiteren Hilfsleistungen haben Sie noch auf dem Programm oder planen Sie?
Ja, wir helfen weiter, denn unser Ziel ist es, jenen zu helfen, die von der Teuerung ganz besonders betroffen sind. Ein Beispiel ist der neue Pflegescheck, der seit Oktober beantragt werden kann. Er bringt für 47.000 Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher ab der Pflegestufe 3, die zuhause betreut werden, sowie für Landsleute mit ärztlich bestätigter Demenz und Kinder mit Pflegestufe 1 und 2 zusätzlich zu allen anderen Sozialleistungen 1.000 Euro pro Jahr. Denn wir wissen, dass unsere pflegebedürftigen Landsleute am liebsten in ihren eigenen vier Wänden leben wollen. Daher werden wir die Pflege zuhause aufwerten und die Pflegebedürftigen selbst finanziell unterstützen. Insgesamt stellen wir für diese Maßnahme jährlich 47 Millionen Euro zur Verfügung. Und auch im Bereich des Wohnens nehmen wir nochmal viel Geld in die Hand, um unseren Landsleuten in dieser Zeit beizustehen. Mit insgesamt 45 Millionen Euro wollen wir treffsicher und punktgenau jene unterstützen, die es dringend brauchen. Darum wollen wir mit dem neuen Wohnzuschuss vor allem das untere Einkommensdrittel entlasten: Ein-Personen-Haushalte mit einem maximalen Einkommen von 20.000 Euro und Familien mit einem Haushaltseinkommen von höchstens 50.000 Euro erhalten diesen neuen Wohnzuschuss, und zwar bereits jetzt im Oktober. Dabei gibt es 150 Euro für die erste im Haushalt lebende und 50 Euro zusätzlich für jede weitere hauptgemeldete Person.
‚SCHILLINGS KRITIK GEHT INS LEERE‘
Apropos Energie: Die Proteste der Klimakleber scheinen auch in Niederösterreich angekommen zu sein. Wie ordnen Sie die Proteste ein? Wie werden Sie gegen zukünftige Proteste vorgehen?
Ja, es ist noch gar nicht so lange her, dass sich diese Chaoten sogar auf der stark befahrenen A1 bei St. Pölten angeklebt haben. Ich will mir gar nicht vorstellen, welche schrecklichen Unfälle bei solchen Aktionen auf einer Autobahn passieren können. Ministerin Zadic schaut dieser Entwicklung leider tatenlos zu, und ich würde der Frau Bundesministerin dringend empfehlen mit den Gesetzesverschärfungen nicht so lange zu warten bis etwas Schlimmes passiert. Daher habe ich bereits mehrmals härtere Strafen gegenüber Klimakleber gefordert, wie zum Beispiel drei Monate Haft für Klimakleber, die Einsatzfahrzeuge behindern. Ich bin überzeugt, das wird Nachahmungstäter abschrecken.
Im Jänner des Jahres kritisierte Sie die Klimaaktivistin Lena Schilling, damit, Angst zu schüren statt „tatsächlich Klimapolitik zu machen“. Übersieht Schilling womöglich Maßnahmen der Landesregierung?
Ja, ich bin fest überzeugt, dass diese Kritik ins Leere geht. Derzeit ist es ja wirklich so, dass viele von der Energiewende reden – aber es braucht ganz konkrete Taten. Und genau das tun wir in Niederösterreich. Wir stimmen 40 Prozent vom gesamten Ausbau Österreichs im Bereich Windkraft und Photovoltaik, und schon jetzt sind wir das Bundesland mit der meisten Energie aus Wind- und Sonnenkraft. Dazu haben wir uns auch konkrete, messbare Ziele beim Ausbau der Erneuerbaren Energie gesetzt, nämlich die Verdreifachung der Wind- und Sonnenkraft. Das entspricht in etwa dem gesamten Stromverbrauch der Steiermark. Aber damit nicht genug, ich könnte hier noch eine Vielzahl an Maßnahmen aufzählen: etwa unseren „Bodenbonus“, um der Versiegelung entgegenzuwirken, oder die Tatsache, dass Niederösterreich Europameister ist bei den Klimabündnisgemeinden. Übrigens waren wir auch das erste Bundesland, das den Klimaschutz in der Landesverfassung verankert hat, und zwar bereits im Jahr 2007.
‚KEINE SCHÖNERE VERANTWORTUNG‘
Ihnen stehen, wenn alles gut läuft, noch einige Jahre im Amt bevor. Auf welche Herausforderungen freuen Sie sich am meisten?
Ich bin mit einer großen Begeisterung und Liebe für dieses Land im Amt, für mich gibt es keine schönere Verantwortung, und deshalb freue ich mich darauf, gemeinsam mit den Niederösterreicherinnen und Niederösterreichern die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.