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In der Universität Wien soll die interkulturelle Philosophie abgeschafft werden

In der Universität Wien soll die interkulturelle Philosophie abgeschafft werden

STVen sprechen sich gegen Umbenennung in „Östliche Philosophie“ aus.

Wien (OTS) – Die Universität Wien möchte die interkulturelle Philosophie abschaffen und den Lehrstuhl in „Östliche Philosophie“ umbenennen. Und das, obwohl Wien eine Tradition interkultureller Philosophie hat, die auf die 1990er Jahre zurückgeht. Seit über 30 Jahren bildet der Forschungsbereich interkulturelle Philosophie in Wien somit ein international renommiertes Zentrum und stellt einen der bedeutendsten Standorte interkulturellen Denkens im deutschsprachigen Raum dar.

Die Studienvertretungen am Institut für Philosophie sprechen sich in einer Stellungnahme klar gegen eine Umbenennung der Professur von „Interkulturelle Philosophie“ in „Östliche Philosophie“ aus. Diese Abschaffung der interkulturellen Philosophie würde die essenzielle Dimension von Interkulturalität vernachlässigen und eine eurozentristische und entpolitisierte Neuausrichtung des gesamten Lehrstuhls forcieren. Die Stellungnahme wurde von über 300 Personen unterzeichnet. Neben mehr als 140 Studierenden unterstützten auch Forscher*innen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Marokko, Kolumbien, dem Vereinigten Königreich, Taiwan und Japan die Studienvertretung mit ihrer Stimme. Zu den Unterzeichner*innen gehören Birgit Kellner (Direktorin des Instituts für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Professorin für Buddhismusstudien in Heidelberg) und Franz Martin Wimmer, der die interkulturelle Philosophie in Wien maßgeblich begründet hat.
Die Professur, die ehemals Prof. Georg Stenger unter dem Titel „Philosophie in der globalen Welt“ innehatte, wurde nach dessen Emeritierung als „Interkulturelle Philosophie“ ausgeschrieben. Obwohl Hearings mit sieben Bewerber*innen im November 2022 abgehalten wurden, kam es zu keiner Personalaufnahme. Mit dem neuen Entwicklungsplan soll der Lehrstuhl nun in seiner kritischen Ausrichtung deutlich beschnitten und in „Östliche Philosophie“ umbenannt werden.

Was ist „interkulturelle Philosophie“?

Die Bezeichnung „interkulturelle Philosophie“ meint die kritische Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie philosophische Zugänge verschiedener Kulturen miteinander ins Verhältnis gebracht werden. Es geht dabei also nicht nur darum, unterschiedliche Philosophien kennenzulernen und zu studieren. Was interkulturelle Philosophie auszeichnet, ist, dass sie die spezifischen Formen bedenkt, die Philosophieren annimmt, wenn es sich über die Grenzen kultureller Bereiche hinweg bewegt. Es werden Fragen behandelt, die bei jeder Begegnung mit verschiedenen Traditionen unweigerlich entstehen: zum Beispiel Fragen der Sprache und epistemischer Ungerechtigkeit. Zu lange schon hat sich Europa geweigert, diesen Fragen auf produktiver Weise zu begegnen.

Die Notwendigkeit von interkultureller Philosophie im gesellschaftlichen Wandel

Die Beschäftigung mit interkultureller Philosophie ist auch eine Chance, den gesellschaftlichen Herausforderungen in Zeiten von Globalisierung und intensivierten internationalen Kooperationen gerecht zu werden. Es ist jedoch entscheidend, wie solche Kooperationen gestaltet werden. Aktuell wächst die Tendenz, ebenso innerhalb der Wissenschaft rassistische Biases zu hinterfragen. Vor allem Postkoloniale und Dekoloniale Theorie nehmen in der internationalen Forschung einen zunehmend größeren Stellenwert ein. Es ist für moderne Gesellschaften notwendig geworden, das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart aufzuarbeiten und zu beleuchten, inwiefern interkulturelle Begegnungen das Miteinander nachhaltig verändern. Diese Chance, die nicht nur eine Chance für die Philosophie ist, wird vom Rektor der Universität Wien Sebastian Schütze und von den Entscheidungsträger*innen am Institut für Philosophie leichtfertig verspielt. Sie werden der Verantwortung, die ihnen in einer öffentlichen Universität in dieser Angelegenheit zukommt, nicht gerecht. Denn Interkulturalität betrifft heute jeden Menschen persönlich: in der eigenen Identität, in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Der Austausch zwischen den Kulturen nimmt immer weiter zu. Deshalb ist es von größter Relevanz, ein Verständnis für die Bedeutung von Vielfalt zu fördern: Vielfalt auch in philosophischen Perspektiven. Die Etablierung eines Lehrstuhls für „Östliche Philosophie“, auf Kosten der interkulturellen Philosophie, riskiert, zu einer Verstärkung von strukturellen Ungleichheiten, unhinterfragten Rassismen und Diskriminierungen in einer öffentlichen Institution beizutragen.

Die Universität muss handeln

Die Unterzeichnenden sehen es als die Pflicht der Universität, gesellschaftskritische Beiträge zu leisten, die auch in der Zivilgesellschaft weiterwirken. Sie sehen es als entscheidend, interkulturelle Philosophie zu fördern und als Gegenstand von Lehre und Forschung aufrechtzuerhalten, um die Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie interkulturelle Begegnungen gestaltet werden, nicht zu marginalisieren. Die Beibehaltung der Ausrichtung „interkulturelle Philosophie“ trägt dazu bei, die hier genannten, wichtigen Dimensionen nicht einzig zu bewahren, sondern sie zu bestärken und eine inklusive und vielfältige Gesellschaft sowie akademische Umgebung zu schaffen.

Link zur Webseite der Studienvertretung mit der vollständigen Stellungnahme und der Liste der Unterzeichner*innen:

https://oeh.univie.ac.at/stv/philosophie

Rückfragen & Kontakt:

institutsgruppe.philosophie@gmail.com

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