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GEORG DORNAUER im Exklusivgespräch mit dem Brücke-Magazin

„Migrantenzeitungen sind ein Schlüssel, um alle Menschen miteinzubeziehen“

Österreichs von der Bevölkerungszahl her fünfgrößtes Bundesland Tirol, hat seit Oktober 2022 eine neue Regierung. Das Bundesland, in Führung einer Koalition bestehend aus der Östereichischen Volkspartei (ÖVP) und der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), hat auch für die türkische Gemeinschaft große Bedeutung. In letzter Zeit entwickeln sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich positiv. Die Auswirkungen dieser positiven Entwicklungen auf die Bevölkerung des Bundeslandes ist groß. Den Blick der neuen Landesregierung auf die bilateralen Beziehungen und die „Mig-rantenmedien“ haben wir mit dem ersten stellvertretenden Landeshauptmann Tirols, Georg Dornauer (SPÖ) besprochen.

‚UNSER ZIEL IST ES, GEMEINSAM DIE INTERESSEN ALLER GRUPPEN DURCHZUSETZEN‘

Herr Dornauer, wie empfinden Sie den Wechsel von Kommunal- in die Landespolitik?

Ich war mit Leib und Seele Bürgermeister. Meine neue Aufgabe als erster Landeshauptmann-Stellvertreter ist allerdings eine ganz besondere und es erfüllt mich mit viel Freude und Stolz für unser Land politisch verantwortlich zu sein und für die Tirolerinnen und Tiroler zu arbeiten.

Ihre Partei war ja nun lange nicht in der Regierung. Wo sehen Sie die Ursachen diesen Rückgangs? Glauben Sie, dass sie den Rückgang der SPÖ verhindern können?

Nach durchaus lebendigen Wochen in der Sozialdemokratie werden wir gemeinsam zu neuer Stärke und Geschlossenheit aufbrechen. Damit die SPÖ wieder die bestimmende politische Kraft in Österreich wird. Den in Tirol eingeschlagenen Weg der Stabilität, des Fortschritts und des Zusammenhaltes wünsche ich mir auch auf Bundesebene. Wir dürfen nun keine Zeit verlieren uns schlagkräftig für eine gute Zukunft der Partei im Allgemeinen und eine erfolgreiche kommende Nationalratswahl im Speziellen aufzustellen. 

Die Türkeistämmigen wählen vermehrt die SPÖ. Wird es in naher Zukunft bei der Unterstützung bleiben?

Die Sozialdemokratie ist und war immer schon ein Bündnis unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Milieus, die durch gemeinsame Ideale und Vorstellungen verbunden sind. Ein sozialdemokratisches Ziel besteht deshalb seit jeher auch darin, gemeinsam die Interessen dieser Gruppen durchzusetzen. Das macht uns zu einer Volkspartei im besten Sinne. Die Vielfältigkeit und Diversität unserer Partei lässt sich auch an den vielen KandidatInnen und MandatarInnen mit Migrationshintergrund – von Gemeindeebene bis hin zum Nationalrat – erkennen. Damit gehen wir selbstbewusst um.

DIE SOLIDARITÄT NACH DEM ERDBEBEN WAR GROß

Tirol ist eines der Bundesländer mit einer der größten türkischstämmigen Populationen in Österreich. In den letzten Jahren haben sich die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern positiv entwickelt. Wie wirkt sich dies auf Tirol aus?

Die Geschichte der Zu- und Abwanderung ist eine lange und türkischstämmige Menschen sind seit langem ein Teil der Gesellschaft in Tirol. Die bilaterale Zusammenarbeit der beiden Länder hat sich entsprechend auch weiterentwickelt und steht auf einem guten Fundament. Gerade in Krisensituationen zahlt sich das besonders aus, so konnte nach dem schrecklichen Erdbeben im Februar diesen Jahres in der Türkei und Syrien schnell und unbürokratisch Soforthilfe – auch von Tirol – geleistet und Spenden gezielt weitervermittelt werden. Die Solidarität der Bevölkerung ist sehr groß, auch, weil durch die lange gemeinsame Geschichte viele persönliche Anknüpfungspunkte vorhanden sind.

Eines der vieldiskutierten Themen auf europäischer Tagesordnung ist aktuell Migration. Mit dem neuen Migrationspaket beabsichtigt die Europäische Union, eine gerechtere, solidarische Herangehensweise zu entwickeln. Wie bewerten Sie als Landesregierung diese Pläne?

Es ist wichtig, dass sich die Länder der Europäischen Union auf ein neues, gemeinsames, solidarisches Konzept zu Flucht, Asyl und Migration verständigen. Die Standpunkte der Mitgliedsstaaten sind allerdings sehr kontrovers, daher konnte auch noch keine Einigung über das 2020 vorgelegte Migrations- und Asylpaket getroffen werden. Die aktuell diskutierte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sollte die Ebenen Flucht und Asyl neu regeln. Europa ist in der Verantwortung, gegenüber den schutzsuchenden Menschen, aber auch um den in Europa lebenden Menschen Klarheit über die Strukturen zu geben. Panikmache und falsche Drohkulissen, wie sie von manchen Seiten betrieben werden, sind Gift für eben diese Verantwortung. Noch laufen die Verhandlungen über die detaillierte Ausgestaltung des Paketes, aber wir werden als Tiroler Landesregierung natürlich genau darauf schauen, welche Regelungen getroffen werden.

STRUKTUREN UND INSTRUMENTE VOR ORT SIND FÜR DIE INTEGRATIONSPOLITIK ENORM WICHTIG

Nicht zuletzt ist Migrations- und Integrationspolitik eine praktische Aufgabe der Landesregierung. Wie ist hier die Zusammenarbeit mit den Kommunalverwaltungen? Welche Rückmeldungen erhalten Sie von diesen?

Die tatsächliche Integrationsarbeit, die Aufnahme, das Ankommen und die Vermittlung eines Gefühls des Willkommenseins passiert nicht auf Landes-, Bundes oder europäischer Ebene, es passiert in den Gemeinden. Hier direkt vor Ort Strukturen und Instrumente zu schaffen ist daher enorm wichtig. In den letzten Jahren wurden in Tirol zum Beispiel schrittweise die Integrationsbeauftragten in den Gemeinden ausgebaut. Wie wichtig und nachhaltig die zugeschriebenen Zuständigkeiten sind, hat sich klar gezeigt. Auch bei der Unterbringung von geflüchteten Menschen setzen wir stark auf die enge Zusammenarbeit mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern. 

Daher ist die enge Vernetzung auf kommunaler, Bezirk- und Landesebene für eine effektive Integrationsarbeit sehr wertvoll.

DER STELLENWERT DER MIGRANTENMEDIEN FÜR DIE TIROLER REGIERUNG

Wie viele Türkeistämmige leben in Tirol? Wie sind Ihre Beziehungen zur türkischen Gemeinschaft? Hat die türkische Gemeinschaft spezifische Probleme? Welche Lösungen haben Sie diesbezüglich parat?

2,2% der Bevölkerung in Tirol sind in der Türkei geboren, das sind nicht ganz 17.000 Menschen. Davon haben knapp 8.000 Menschen die österreichische Staatsbürgerschaft. Dazu kommen noch Menschen der zweiten, dritten und vierten Generation nach der Zuwanderung aus der Türkei, allerdings gibt es hier keine statistischen Unterscheidungsmerkmale mehr. Jedenfalls ist die Gruppe der türkeistämmigen Menschen in Tirol die zweitgrößte Gruppe mit internationalem Hintergrund, nach den Zuwander*innen aus Deutschland. Die türkische Gemeinschaft ist auch in Tirol eine sehr heterogene und kann weder auf ein Merkmal, und schon gar nicht auf spezifische Problemlagen, reduziert werden.

Die Problemlagen sind, wie für alle in Tirol lebenden Menschen, komplex und Lösungen brauchen daher auch individuelle Lösungsansätze, die mit anderen Parametern als der Herkunft erarbeitet werden. Auch sehe ich bei vermeintlich klassischen Integrationsfragen, wie Erwerb der Sprache oder Gemeinschaftsaktivitäten keine signifikanten Unterschiede zu anderen Gruppen mit internationalem Hintergrund. Wichtig ist laut unseren Daten die soziale Lage um persönliche Möglichkeiten und Potentiale zu nutzen. Und hier sehen wir auch die notwendigen Hebel und Stellschrauben um im Sinne des Tiroler Integrationsleitbildes die Zugehörigkeit und Verbundenheit zu stärken und Chancengerechtigkeit und individuelle Anerkennung zu fördern.

In Tirol gibt es die Brücke als eine „Migrantenzeitung“. Brücke hat Türkeistämmige als Zielgruppe. Inwieweit helfen Ihnen die Brücke und ähnliche Medien bei der Kommunikation mit der türkischen Gemeinschaft?

Medien sind ein wichtiger Kommunikationsfaktor, um Menschen zu erreichen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, braucht es auch bestimmte Zielgruppenangebote. Daher bin ich sehr froh über die große Medienvielfalt in Österreich und Tirol. Zeitungen für Menschen mit internationalem Hintergrund sind ein wichtiger Schlüssel um alle Menschen miteinzubeziehen, das trifft sowohl auf die türkische Gemeinschaft, wie auch auf andere Gruppen zu.

‚DIESE KAMPAGNENKOMMUNIKATION WIRD WEITERHIN ERFOLGEN‘

Haben Sie ein Budget für „Migrantenzeitungen“? Planen Sie diese in nächster Zeit noch mehr zu verwenden?

Jedes Medium in Tirol hat seinen Platz und ist für sich genommen wichtig. Bei der Vergabe von öffentlichen Mitteln für Kampagnen und Werbemaßnahmen gibt es ganz klare gesetzliche Kriterien, an die sich das Land Tirol hält. Bei Kampagnen analysieren die Fachexpertinnen und Fachexperten unserer Verwaltung stets: Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden und mit welchem Medienmix wird dies gemacht? Und nach dieser Analyse wird dann die Kommunikation durchgeführt – dies gilt selbstverständlich auch für alle anderen Medien.

Wir merken, dass das Bundesland Tirol die „Migrantenzeitungen“ ungleich behandelt und ihnen keine Stellung in ihren Kampagnen gibt. Wird diese Haltung in nächster Zeit fortgeführt oder wird sich hier etwas verändern?

Unsere Fachabteilung, die für Kampagnenkommunikation zuständig ist, hat grundsätzlich den Auftrag, die vorhandenen Finanzmittel effizient einzusetzen. Die Werbemaßnahmen werden stets nach nachvollziehbaren Vergleichskriterien und mittels Zielgruppenanalyse getroffen, deshalb kann grundsätzlich eine Ungleichbehandlung ausgeschlossen werden. Auf Basis einer fachlichen Analyse und eines effizienten und vor allem transparenten Einsatzes von Steuergeldern wird diese Kampagnenkommunikation auch weiterhin erfolgen.

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