DeutschInterview

Deutschklassen : Recherche zur Episode

„Das ist eine Mammutaufgabe“
Germanist Hannes Schweiger übt Kritik an den Deutschförderklassen. Für den
„Spagat“ der Lehrkräfte hat er Verständnis.

Brucke: Die Expertenwelt ist sich eigentlich einig – so, wie die Deutschklassen in Österreich aufgestellt sind, funktioniert Sprache lernen nicht. Warum eigentlich?

Schweiger: Da gibt es mehrere Kritikpunkte. Der erste ist, dass die Deutschförder- klassen ein System für alle Schulen sind und somit nicht auf die standortspezifischen Bedingungen eingegangen werden kann. Es gibt ein System für ganz Österreich, das wenig bis gar keinen schulautonomen Spielraum lässt. Der zweite Kritikpunkt ist: Wir wissen aus der Forschung, dass Sprachenlernen dann erfolgreich ist, wenn das in integrativen Klassen geschieht – das heißt, wenn diejenigen, die die Unterrichtssprache nicht ausreichend können, mit denjenigen, die sie bereits beherrschen, in einer Gruppe sind.

Brucke: Was, wenn aber nicht genug Kinder mit guten Deutschkenntnissen vorhanden sind, von denen ich lernen kann?

Schweiger: Da stellt sich einmal die Frage, woher wir wissen, dass Kinder die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen. Was ist die Entscheidungsgrund- lage dafür? In Ballungsräumen, etwa in Wien, gibt es zahlreiche Kinder, die eine andere Muttersprache als Deutsch haben. Das sagt aber nichts darüber aus, wie gut sie Deutsch können. Wir haben viele Kin-der, die Deutsch als Zweitsprache erwerben. Die haben eine sehr hohe Kompetenz im Deutschen und bringen noch dazu die Erfahrung mit, wie es ist, Deutsch als Zweitsprache zu lernen. Diese Kinder können sehr gut, andere Schülerinnen und Schüler, die Deutsch noch nicht „ausrei- chend“ beherrschen, unterstützen.

Brucke: Sie finden ja schon das Auswahlverfahren, bei dem ein Kind einer Deutschförderklasse zugeteilt werden kann, fragwürdig. Warum?

Schweiger: Das Auswahlverfahren basiert auf dem sogenannten Mika-D-Test. Das steht für Messinstrument zur Kompetenzanalyse-Deutsch. Dieser Test ist ein Instrument, mit dem Kinder und Jugendliche zugeteilt werden – in die Regel- klasse, die Deutschförderklasse oder zum Deutschförderkurs. Problematisch ist, was damit nicht gemacht wird: Es wird nicht geschaut – was ist der Sprachstand des Kindes? Das wäre aber wichtig, um zu wissen, wo die Förderung ansetzen muss. Das ist ein komplett anderer Zugang: Wir unterscheiden zwischen Instrumenten, die der Einteilung von Kindern in verschiedene Klassen dienen und jenen Instrumenten, die wirklich der Förderdiagnostik dienen. In dem einen Fall will ich einfach sortieren – eben nach „ausreichenden“, „mangelhaften“ und „ungenügenden“ Deutschkennt- nissen. Im anderen Fall will ich wissen, wie ist der individuelle Sprachstand des Kindes? Damit ich dann dieses Kind entsprechend gut fördern kann. Diesen Zugang halten wir für viel wichtiger.

Brucke: Was stört Sie am Ablauf des Tests?

Schweiger: Er findet unter für Kinder sehr schwierigen Bedingungen statt – nach der Schuleinschreibung im Frühjahr, bevor ich dann etwa neu an eine Volksschule komme. Ich kenne also die Schule noch gar nicht, ich kenne die Lehrpersonen nicht. Und dann werde diesem Test ausgesetzt, der sehr entscheidend ist für den weiteren Bildungsverlauf. Das erzeugt Stress! Das sehen wir immer wieder in den Gesprächen mit Eltern, mit Lehrkräften, in der Arbeit mit Kindern. Das erzeugt Stress auf allen Seiten. Das führt dazu, dass Eltern fragen, ob sie Einspruch erheben können gegen das Testergebnis weil sie Sorge haben, dass durch die Zuteilung zu einer Deutschförder-klasse Nachteile für ihr Kind entstehen. Die Schulen wiederum müssen Kinder zu einem Zeitpunkt testen, der lange vor dem Schuleintritt im Herbst liegt – da kann sich also sprachlich noch sehr viel tun. Und: Es ist eben eine Testsituation. Das ist etwas ganz Entscheidendes: Eine Testsituation, in der Kinder ganz unterschiedlich reagieren. Das heißt, wir haben eigentlich durch diesen Mika-D-Test kein wirklich realistisches Bild der Sprachkompetenz im Deutschen eines
Kindes. Das ist ein wesentlicher Kritikpunkt.

Brucke: Zahlreiche Lehrkräfte haben eine Online-Petition gegen die Deutschförderklassen unterschrieben. Was läuft aus Sicht der Pädagoginnen und Pädagogen falsch?

Schweiger: Das Ganze ist für die Lehrkräfte eine extreme Herausforderung, wenn nicht Überforderung. Sie sollen ja eine große, heterogene Gruppe von Kindern nicht nur beim Deutscherwerb gut begleiten, sondern gleichzeitig auch das fachliche Lernen fördern und schauen, dass es den Kindern auch sozial gut geht. Das ist einfach eine Mammutaufgabe, vor die hier Lehrkräfte in den Deutschförderklassen gestellt werden, die aufgrund der Rahmenbedingungen so kaum zu bewältigen ist. Es gibt nicht einmal eine Höchstzahl der Schülerinnen und Schüler in Deutschförderklassen. Hier würde es dringend eine Reduktion brauchen.

Brucke: Wie kann also Sprache-Lernen besser funktionieren?

Schweiger: Wenn ich neu in das Land komme, dann brauche ich etwas anderes, als wenn ich hier in Österreich sozialisiert worden bin, wenn ich hier in den Kindergarten gegangen bin, wenn ich hier aufgewachsen bin und lediglich einen Förderbedarf im Deutschen habe. Ich würde mir also ein System der Deutschförderung wünschen, in dem wir von vornherein eine Unterscheidung zwischen diesen Gruppen haben.

Brucke: Was heißt das dann konkret für die jeweilige Gruppe?

Schweiger: Im „idealen“ System der Deutschförderung muss ich die Kinder dann nicht rausnehmen aus der Klasse und in eine andere Klasse geben. Sondern sie bleiben in ihrer Stammklasse, aber sie bekommen zusätzliche Förderung. Mit anderen Worten: Wir wissen aus der Forschung, dass es am besten funktioniert, integrativ die Sprache zu fördern. Aber wenn es notwendig ist, auch mit zusätzlichen Stunden, die die Kinder in kleinen Gruppen außerhalb ihrer Regelklasse verbringen. Das Entscheidende ist dabei: Nicht mit so vielen Stunden, wie das bei den Deutschförder- klassen vorgesehen ist.

Brucke: Das Bildungsministerium sieht die Deutschförderklassen als Erfolgsprojekt. Was halten Sie dagegen: Dass die Kinder in dem System nicht Deutsch lernen?

Schweiger: Die Deutschförderung, so wie sie vom Ministerium konzipiert ist, endet nach maximal zwei Jahren. Mit dem Wegfall des Status als außerordentliche Schülerin oder außerordentlicher Schüler sind die Kinder nicht mehr in der Deutschförderklasse und nicht mehr im Deutschförderkurs. Es gibt dann keine Deutschförderung mehr für sie. Wir wissen aber aus der Forschung, dass der Erwerb einer Sprache als Alltagssprache zwar schnell geht, aber der Erwerb einer Sprache als Bildungssprache sehr viel länger braucht – fünf bis sieben Jahre. Wir brauchen also auch Deutschförderung nach dem Ende der Deutschförderklassen oder Deutschförderkurse. Dieses Angebot kann nicht mit dem Ende des a.o.-Status aufhören. Das gibt es aber derzeit nicht.

Brucke: In unserer Podcast-Episode „Der kleine Schulschwindel“ berichten Schulleiterinnen, dass sie die Deutschförderklasse überhaupt nur auf dem Papier führen. Überrascht Sie das?

Schweiger: Das überrascht mich insofern nicht, als natürlich die Schulen auch unter hohem Druck stehen was die Umsetzung der Deutschförderklassen betrifft. Gleichzeitig gibt es vor Ort das große Bemühen darum, die Kinder und Jugendlichen, die sie an ihrer Schule haben, bestmöglich zu unterstützen und zu fördern. Und das ist oft ein ziemlicher Spagat, den man hier an Schulen erlebt. Bei der Einführung der Deutschförderklassen wurde ihre Kritik in den Wind geschlagen statt zu überlegen: Wie kann ich die Expertise, die es hier an den Schulen gibt, nutzen. Jetzt suchen die Lehrkräfte offenbar eigenständig nach guten Wegen, die Kinder und Jugendlichen so gut wie möglich zu unterstützen.

Hannes Schweiger ist Assistenzprofessor am Institut für Germanistik an der Uni Wien und Präsident des Österreichischen Verbandes für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache.

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