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Der armenisch-aserbaidschanische Konflikt

Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan reicht weit zurück in die Geschichte. Nach dem zweiten Russisch-Persischen Krieg gelangte die Region Bergkarabach 1805 unter russische Kontrolle. Die Mehrheit der Bevölkerung des Khanats Karabach war aserbaidschanisch. Dies belegt beispielsweise eine offizielle russische Bevölkerungsstatistik von 1823 nach der die armenische Bevölkerung lediglich knapp 22 Prozent ausmachte. In einem so politisierten und emotionalen Thema häufen sich allerdings Fehlinformationen aus beiden nationalistischen Ecken. Hierauf geht Professor Rüdiger Kipke in seinem Buch Das armenisch-aserbaidschanische Verhältnis und der Konflikt um Berg-Karabach[1] sehr detailliert ein. Die offiziellen Zahlen aus Russland kann man aber ohne bedenkenlos heranziehen, da Russland tendenziell die armenische Bevölkerung bevorzugte. Während der russischen Herrschaft wurden gezielt christliche Armenier als Beamte eingestellt und Moskau förderte die Ansiedlung von Armeniern in die Region Bergkarabach. Im 19. Jahrhundert wanderten aus Persien und dem Osmanischen Reich knapp 125.000 Armenier ein, die Mehrheitlich in Bergkarabach sesshaft wurden. Neben Armeniern wurden auch Russen, Ukrainer und Deutsche angesiedelt. Auch Professorin Eva-Maria Auch vertieft die russische Heterogenisierungsstrategie in ihrer Studie „Ewiges Feuer“ in Aserbaidschan – Ein Land zwischen Perestrojka, Bürgerkrieg und Unabhängigkeit.

Eine zweite große Einwanderungswelle ereignete sich in den Jahren während des Ersten Weltkriegs. Armenische Nationalisten und Separatisten rebellierten gegen das Osmanische Reich und kollaborierten mit der russischen Armee. Bei Übergriffen und Terroranschlägen gegen die osmanische Administration und muslimische Bevölkerung wurden zahlreiche Menschen getötet. Die oftmals sehr emotionalen Vergeltungsschläge der muslimischen Bevölkerung, aber auch Massaker der osmanischen Streitkräfte machten Ostanatolien zu einem furchtbaren Ort der Grausamkeit und Gräuel. Bis heute streiten sich die Gelehrten, ob es als türkischer Völkermord an den Armeniern klassifiziert werden muss. Westliche Kollegen bevorzugen häufig diese Umschreibung, ignorieren dabei aber die armenischen Terroraktivitäten und zahlreichen muslimischen Opfer vollends.

Ende März 1918 kam es in Baku zu dreitägigen Pogromen gegen Aserbaidschaner, Mitte September wurden ebenfalls in Baku Armenier durch Türken und Aserbaidschaner ermordet. Im März 1920 folgte ein erneuter Übergriff auf die armenische Bevölkerung, diesmal in Schuscha in Bergkarabach. 

Als die Rote Armee im Mai 1920 die jungen unabhängigen Republiken Armenien und Aserbaidschan besetzten, wurden auch die Feindseligkeiten der beiden Volksgruppen weitestgehend unterdrückt.

Als Ende der 1980er Jahre die Stärke der Sowjetunion bröckelt, bricht der alte Konflikt wieder auf. Durch die Ansiedlungspolitik Russlands stellen Armenier inzwischen mit 73 Prozent die Bevölkerungsmehrheit in Bergkarabach. Zwischen 1992 und 1994 tobte ein erbitterter Krieg im Südkaukasus, wobei sich Armenien in entscheidenden Momenten der militärischen Unterstützung Russlands sicher sein konnte. Zur Rolle Russlands verweise ich auf die Promotion von Anar Allahverdi Geopolitische Interessen Russlands im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt um Bergkarabach. Am 25.02.1992 kam es zum Massaker von Chodschali durch armenische und russische Soldaten, dem 613 Zivilisten, darunter 106 Frauen und 83 Kinder ermordet wurden. Am 12. Mai 1994 trat ein Waffenstillstandsabkommen in Kraft, welches den Krieg lediglich in einen bis heute andauernden frozen conflic wandelte. Der Krieg endete mit der völkerrechtswidrigen Besetzung Bergkarabachs und umliegender aserbaidschanischer Bezirke.

Im März 1992 gründete die OSZE die Minsker Gruppe mit 13 Teilnehmerstaaten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedeten 1993 vier Resolutionen gegen die illegale Besetzung aserbaidschanischer Territorien durch Armenien. Allerdings wurde auf Betreiben Russlands nicht Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen bemüht, der wirtschaftlichen und militärischen Zwangsmaßnahmen gegen Aggressorstaaten regelt. Somit verpufften die Resolutionen gegen Armenien ohne Wirkung. Wie die gesamte Minsker Gruppe in 28 Jahren keinen nennenswerten diplomatischen Erfolg zu verbuchen hat. So kam es im Juli 2007 durch den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew zu einer offenen Kriegsdrohung, wenn Armenien Bergkarabach nicht freiwillig aufgebe.

Am 4. März 2008 starben 20 Soldaten beider Konfliktparteien bei schweren Auseinandersetzungen entlang der Grenze. Im Juli 2014 kam es erneut zu Gefechten mit zwölf Toten. Anfang April 2016 folgten die bisher heftigsten Gefechte mit über 120 Toten auf beiden Seiten. Außerdem eroberte Aserbaidschan je nach Quelle zwischen 800 und 2.000 Hektar zurück. Mitte Juli 2020 brachen erneut Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan aus. Diesmal jedoch an der Grenze nördlich von Bergkarabach, zwischen Tovuz und Tawusch. Auf beiden Seiten waren Tote zu beklagen und wieder gab es auch zivile Opfer. Ende September 2020 flammte der Konflikt erneut auf. Die Republik Armenien und die völkerrechtlich nicht anerkannte Republik Bergkarabach erklärten sich mit Aserbaidschan im Kriegszustand zu befinden und verkündeten eine allgemeine Mobilmachung. Die aserbaidschanische Militärführung verzichtete ihrerseits auf eine Mobilmachung und verwies auf den guten Zustand der Armee. Armenien und Aserbaidschan gaben sich gegenseitig die Schuld für die erneute Eskalation des Konfliktes. Das russische Außenministerium appellierte an beide Kriegsparteien, die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen. Russland will die Region mit Verhandlungen stabilisieren. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), ein Verteidigungsbündnis analog der NATO mit den Mitgliedern Armenien, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan und Weißrussland, fordert ebenfalls eine friedliche Lösung. Armenien hat bislang noch kein offizielles Hilfeersuchen bei der Organisation eingereicht.

Sollte Armenien den Bündnisfall ausrufen, kann aus dem regionalen Konflikt ein geopolitscher Flächenbrand entstehen. Der Südkaukasus-Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Stefan Meister, glaubt, dass die EU und der Westen diese Gefahr unterschätzen. Er geht von einer sich weiterdrehenden Gewaltspirale aus. Aktuell scheint eine weitere Eskalation wahrscheinlicher als eine diplomatische Annäherung. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar erklärte unmittelbar nach den Juli-Gefechten, dass die Türkei ihren aserbaidschanischen Brüdern bestehen werde. Mitte August folgte eine Besuch Akars in Baku. Nach den Zusammenstößen vom 27. September wiederholte Ibrahim Kalin, Chefberater des türkischen Präsidenten, das Unterstützungsangebot und verurteilte die jüngsten Handlungen Jerewans scharf. Das türkische Außenministerium ergänzte, dass Aserbaidschan das Recht auf Selbstverteidigung und territoriale Integrität habe.  Umgehend forderte der armenische Premierminister Nikol Paschinjan die internationale Gemeinschaft auf, eine türkische Intervention zu verhindern.
Vieles hängt davon ab, wie sich Russland und die Türkei verhalten werden. Bereits im Juli wurden an der armenisch-türkischen Grenze russische Kampfhubschrauber gesichtet, die vom russischen Militärstützpunkt Gjumri im Westen Armeniens entsendet wurden. Dies kann als eine Warnung an die Türkei interpretiert werden, sich nicht einzumischen. Allerdings sollte man aus dem türkisch-syrischen Konflikt gelernt haben, dass sich die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht einschüchtern lässt. Die Türkei tritt seit einigen Jahren mit einer auffälligen Gelassenheit und Selbstbewusstsein auf dem internationalen Parkett auf. Die türkische Politik lebt förmlich den regionalen Führungsanspruch aus.

Aserbaidschan betont durch Präsident Ilham Aliyev, den Bergkarabach-Konflikt nun vollständig lösen zu wollen. Soll heißen, die Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit Aserbaidschans.

Ein großes Risiko besteht darin, wenn Russland zulässt, dass Armenien eine Hilfegesuch an die OVKS stellt. Ein Eintritt Russlands auf armenischer Seite würde die Türkei auf den Plan rufen und damit unter Umständen die NATO. Allerdings darf auch der Faktor Pakistan nicht außer Acht gelassen werden. Anfang September noch haben sich der aserbaidschanische Verteidigungsminister, Generaloberst Zakir Hasanov und der Vorsitzende der vereinigten Stabschefs Pakistans, General Nadeem Raza in Moskau getroffen, um ihre Freundschaft, Brüderlichkeit und militärische Partnerschaft demonstrativ zu betonen. Pakistan als Atommacht ist ein interessanter und häufig unbeachteter Akteur in diesem Konflikt.   Allerdings hat Russland neben Deutschland und Österreich erstmal beide Seiten zur Deeskalation und Verhandlungen aufgerufen. Allein stellt sich die Frage, wenn die UN Sicherheitsrat bereits viermal durch Resolutionen festgestellt hat, dass die Landnahme Armeniens 1994 völkerrechtswidrig war und dann weder die Vereinten Nationen noch die OSZE mit der Minsker Gruppe seit 28 Jahren keine Ergebnisse hervorbringt Aserbaidschans territoriale Unversehrtheit wiederherzustellen, welchen Anreiz sollte Aserbaidschan nun haben, an den Verhandlungstisch zurückzukehren?


[1] Der Autor war an dem Forschungsprojekt zu Bergkarabach an der Universität Siegen maßgeblich als wissenschaftlicher Mitarbeiter beteiligt

von Dr. Christian Johannes Henrich

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