Prof. Dr. Hakkı Keskin, ehem. MdB
und Ehrenvorsitzender der Türkischen Gemeinde In Deutschland (TGD)
Berlin, 22.2.2020
Offener Brief an die Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel
Sehr geehrte Bundeskanzlerin Frau Merkel,
Ihre tiefe Betroffenheit bei Ihrer Rede zu den rassistischen Morden in Hanau und Ihre klare Feststellung über den Rassismus und Hass, veranlassen mich, Ihnen zu schreiben.
Zu Recht betonen Sie „Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift. Dieses Gift ist schuld an schon viel zu vielen Verbrechen.“ Zugleich verwiesen Sie auf die Morde der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den antisemitischen Anschlag von Halle.
Sehr geehrte Bundeskanzlerin,
Ich war fassungslos und zutiefst schockiert, als am 17. und 23. September 1991 in Hoyerswerda mit mehreren rassistischen Übergriffen ein Wohnheim für Vertragsarbeiter sowie ein Flüchtlingswohnheim massiv angegriffen wurden. Etwa 500 jubelnde Personen standen vor dem in Brand gesteckten Flüchtlingsheim und beteiligten sich an den Angriffen. „Die Polizei war nicht in der Lage, die Angriffe zu stoppen. Die deutschen Medien berichteten umfangreich über die Ereignisse. Die Ausschreitungen von Hoyerswerda bildeten den Auftakt zu einer Serie ausländerfeindlicher und rassistischer Ausschreitungen und Morde zu Anfang der 1990er Jahre in Deutschland.“ So lauteten manche Kommentare in den Medien.
Diese zutiefst beschämenden rassistischen Gewalttaten geschahen vor 29 Jahren.
In der Tat, diese rassistischen Übergriffe in Hoyerswerda ermutigten die Rassisten und Faschisten, ihre Gewalttaten Jahr für Jahr weiter zu eskalieren. Bis zum 19. Februar 2020 wurden in Deutschland 209 Menschen Opfer rassistischer Gewalt. Hier nur einige Beispiele, die bei der Öffentlichkeit zu Empörung führten. Am 23. November 1992 wurden durch Brandanschläge in Mölln drei Angehörige der Aslan Familie und am 29. Mai 1993 fünf Angehörige der Familie Genc in ihren Wohnungen getötet. Am 18. Januar 1996 starben ebenfalls in Folge eines Brandanschlages in einer Wohnunterkunft für Flüchtlinge in Lübeck zehn Personen und am 22. Juli 2016 wurden neuen Personen in ihrem Wohnhaus in München getötet.
Nun, am 19 Februar dieses Jahrs wurden in Hanau neun Personen ermordet. Laut Generalbundesanwalt handelte der Täter „mit rassistischer Gesinnung.“ Dies ist eine weitere Eskalationsstufe der rassischen Gewalt in Deutschland.
Hunderte Wissenschaftler und engagierte Personen in verschiedenen Funktionen haben seit den 80er Jahren auf diese, mit rassistischer Motivation agierende und weiterhin Hitler als Idol sehende Kräfte, mit unzähligen Publikationen und Veranstaltungen aufmerksam gemacht. Zu denen gehöre auch ich.
Erlauben Sie mir bitte festzuhalten, dass unzähligen Appelle und Mahnungen von Wissenschaftlern und Migrantenverbänden, insbesondere von Ihrer Partei, bis vor wenigen Jahren leider nicht beachtet und ernstgenommen wurden. Nun beobachte ich, dass Sie und viele Ihrer Parteifunktionäre diese große Gefahr für unser Land erkannt haben. Dies ist sicherlich sehr erfreulich.
Deshalb möchte ich Frau Bundeskanzlerin, dringend an Sie appellieren, gemeinsam mit den seit Jahrzehnten im Bereich Rassismus und Ausländerfeindlichkeit forschenden Wissenschaftlern und Vertretern von Dachverbänden der Migrantenorganisationen einen Kreis zu bilden, und ihre Ratschläge ohne Zeitverlust nun mehr umzusetzen.
Aus den jüngsten Fehlern in Thüringen unbeirrbare Konsequenzen zu ziehen und mit Ihrer Partei zu der AfD eine klare Position zu beziehen. Einer Partei, die in Bundesländern und im Bundestag vertreten ist, darf es nicht erlaubt sein, durch manche ihrer Abgeordneten mit Antisemitismus, Rassismus und Hass gegen Menschen mit Migrationshintergrund und Jüdische Bevölkerung Politik zu machen.
Deutschland ist eine Kulturnation. Mit ihrer weltweit einmaligen NS-Vergangenheit jedoch, darf es sich keine weiteren antisemitischen, rassistischen und ausländerfeindlichen Gewalttaten erlauben.
Wir dürfen in dieser Hinsicht keine weiteren Jahre mehr verlieren.
Hochachtungsvoll.
Prof. Dr. Hakkı Keskin