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INTERVIEW Kindes? Das wäre aber wichtig, um zu wis- Unterscheidung zwischen diesen Gruppen
sen, wo die Förderung ansetzen muss. Das haben.
ist ein komplett anderer Zugang: Wir un-
terscheiden zwischen Instrumenten, die Brucke: Was heißt das dann konkret für
der Einteilung von Kindern in verschiedene die jeweilige Gruppe?
Deutschklassen Klassen dienen und jenen Instrumenten,
die wirklich der Förderdiagnostik dienen. Schweiger: Im „idealen“ System der
In dem einen Fall will ich einfach sortieren – Deutschförderung muss ich die Kinder dann
eben nach „ausreichenden“, „mangelhaften“ nicht rausnehmen aus der Klasse und in
Recherche und „ungenügenden“ Deutschkennt- eine andere Klasse geben. Sondern sie blei-
nissen. Im anderen Fall will ich wissen, wie ben in ihrer Stammklasse, aber sie bekom-
zur Episode ist der individuelle Sprachstand des Kindes? men zusätzliche Förderung. Mit anderen
Damit ich dann dieses Kind entsprechend Worten: Wir wissen aus der Forschung, dass
gut fördern kann. Diesen Zugang halten wir es am besten funktioniert, integrativ die
für viel wichtiger. Sprache zu fördern. Aber wenn es notwen-
dig ist, auch mit zusätzlichen Stunden, die
„Das ist eine Mammutaufgabe“ Brucke: Was stört Sie am Ablauf des die Kinder in kleinen Gruppen außerhalb
Germanist Hannes Schweiger übt Kritik an Tests? ihrer Regelklasse verbringen. Das Entschei-
den Deutschförderklassen. Für den dende ist dabei: Nicht mit so vielen Stund-
„Spagat“ der Lehrkräfte hat er Verständnis. Schweiger: Er findet unter für Kinder sehr en, wie das bei den Deutschförder- klassen
schwierigen Bedingungen statt - nach der vorgesehen ist.
Schuleinschreibung im Frühjahr, bevor ich
Brucke: Die Expertenwelt ist sich dann etwa neu an eine Volksschule kom- Brucke: Das Bildungsministerium sieht
eigentlich einig – so, wie die me. Ich kenne also die Schule noch gar die Deutschförderklassen als
Deutschklassen in Österreich aufgestellt nicht, ich kenne die Lehrpersonen nicht. Erfolgsprojekt. Was halten Sie dagegen:
sind, funktioniert Sprache lernen nicht. Und dann werde diesem Test ausgesetzt, Dass die Kinder in dem System nicht
Warum eigentlich? der sehr entscheidend ist für den weiteren Deutsch lernen?
Bildungsverlauf. Das erzeugt Stress! Das
Schweiger: Da gibt es mehrere Kritik- sehen wir immer wieder in den Gesprächen Schweiger: Die Deutschförderung, so wie
punkte. Der erste ist, dass die Deutschför- mit Eltern, mit Lehrkräften, in der Arbeit sie vom Ministerium konzipiert ist, endet
der- klassen ein System für alle Schulen mit Kindern. Das erzeugt Stress auf allen nach maximal zwei Jahren. Mit dem Weg-
sind und somit nicht auf die standortspezi- Seiten. Das führt dazu, dass Eltern fragen, fall des Status als außerordentliche Schüler-
fischen Bedingungen eingegangen werden ob sie Einspruch erheben können gegen in oder außerordentlicher Schüler sind die
kann. Es gibt ein System für ganz Österreich, das Testergebnis weil sie Sorge haben, dass Kinder nicht mehr in der Deutschförderk-
das wenig bis gar keinen schulautonomen durch die Zuteilung zu einer Deutschförder- lasse und nicht mehr im Deutschförderkurs.
Spielraum lässt. Der zweite Kritikpunkt ist: klasse Nachteile für ihr Kind entstehen. Die Es gibt dann keine Deutschförderung mehr
Wir wissen aus der Forschung, dass Spra- Schulen wiederum müssen Kinder zu ei- für sie. Wir wissen aber aus der Forschung,
chenlernen dann erfolgreich ist, wenn das in nem Zeitpunkt testen, der lange vor dem dass der Erwerb einer Sprache als Allt-
integrativen Klassen geschieht – das heißt, Schuleintritt im Herbst liegt – da kann sich agssprache zwar schnell geht, aber der Er-
wenn diejenigen, die die Unterrichtssprache also sprachlich noch sehr viel tun. Und: Es ist werb einer Sprache als Bildungssprache sehr
nicht ausreichend können, mit denjenigen, eben eine Testsituation. Das ist etwas ganz viel länger braucht – fünf bis sieben Jahre.
die sie bereits beherrschen, in einer Gruppe Entscheidendes: Eine Testsituation, in der Wir brauchen also auch Deutschförderung
sind. Kinder ganz unterschiedlich reagieren. Das nach dem Ende der Deutschförderklassen
heißt, wir haben eigentlich durch diesen Mi- oder Deutschförderkurse. Dieses Angebot
Brucke: Was, wenn aber nicht genug ka-D-Test kein wirklich realistisches Bild der kann nicht mit dem Ende des a.o.-Status
Kinder mit guten Deutschkenntnissen Sprachkompetenz im Deutschen eines aufhören. Das gibt es aber derzeit nicht.
vorhanden sind, von denen ich lernen Kindes. Das ist ein wesentlicher Kritikpunkt.
kann? Brucke: In unserer Podcast-Episode „Der
Brucke: Zahlreiche Lehrkräfte kleine Schulschwindel“ berichten
Schweiger: Da stellt sich einmal die Frage, haben eine Online-Petition gegen die Schulleiterinnen, dass sie die
woher wir wissen, dass Kinder die Un- Deutschförderklassen unterschrieben. Deutschförderklasse überhaupt nur auf
terrichtssprache nicht ausreichend be- Was läuft aus Sicht der Pädagoginnen dem Papier führen.
herrschen. Was ist die Entscheidungsgrund- und Pädagogen falsch? Überrascht Sie das?
lage dafür? In Ballungsräumen, etwa in
Wien, gibt es zahlreiche Kinder, die eine Schweiger: Das Ganze ist für die Lehrkräfte Schweiger: Das überrascht mich insofern
andere Muttersprache als Deutsch ha- eine extreme Herausforderung, wenn nicht nicht, als natürlich die Schulen auch unter
ben. Das sagt aber nichts darüber aus, wie Überforderung. Sie sollen ja eine große, hohem Druck stehen was die Umsetzung
gut sie Deutsch können. Wir haben viele heterogene Gruppe von Kindern nicht nur der Deutschförderklassen betrifft. Gleich-
Kin-der, die Deutsch als Zweitsprache er- beim Deutscherwerb gut begleiten, son- zeitig gibt es vor Ort das große Bemühen
werben. Die haben eine sehr hohe Kom- dern gleichzeitig auch das fachliche Lernen darum, die Kinder und Jugendlichen, die
petenz im Deutschen und bringen noch fördern und schauen, dass es den Kindern sie an ihrer Schule haben, bestmöglich zu
dazu die Erfahrung mit, wie es ist, Deutsch auch sozial gut geht. Das ist einfach eine unterstützen und zu fördern. Und das ist
als Zweitsprache zu lernen. Diese Kinder Mammutaufgabe, vor die hier Lehrkräfte in oft ein ziemlicher Spagat, den man hier
können sehr gut, andere Schülerinnen und den Deutschförderklassen gestellt werden, an Schulen erlebt. Bei der Einführung der
Schüler, die Deutsch noch nicht „ausrei- die aufgrund der Rahmenbedingungen so Deutschförderklassen wurde ihre Kritik in
chend“ beherrschen, unterstützen. kaum zu bewältigen ist. Es gibt nicht ein- den Wind geschlagen statt zu überlegen:
mal eine Höchstzahl der Schülerinnen und Wie kann ich die Expertise, die es hier an
Brucke: Sie finden ja schon das Schüler in Deutschförderklassen. Hier würde den Schulen gibt, nutzen. Jetzt suchen
Auswahlverfahren, bei dem ein Kind es dringend eine Reduktion brauchen. die Lehrkräfte offenbar eigenständig nach
einer Deutschförderklasse zugeteilt guten Wegen, die Kinder und Jugendlichen
werden kann, fragwürdig. Warum? Brucke: Wie kann also Sprache-Lernen so gut wie möglich zu unterstützen.
besser funktionieren?
Schweiger: Das Auswahlverfahren basiert Hannes Schweiger ist Assistenzprofes-
auf dem sogenannten Mika-D-Test. Das Schweiger: Wenn ich neu in das Land sor am Institut für Germanistik an der Uni
steht für Messinstrument zur Kompe- komme, dann brauche ich etwas anderes, Wien und Präsident des Österreichischen
tenzanalyse-Deutsch. Dieser Test ist ein als wenn ich hier in Österreich sozialisiert Verbandes für Deutsch als Fremdsprache/
Instrument, mit dem Kinder und Jugend- worden bin, wenn ich hier in den Kinder- Zweitsprache.
liche zugeteilt werden – in die Regel- garten gegangen bin, wenn ich hier auf-
klasse, die Deutschförderklasse oder zum gewachsen bin und lediglich einen För-
Deutschförderkurs. Problematisch ist, was derbedarf im Deutschen habe. Ich würde
damit nicht gemacht wird: Es wird nicht mir also ein System der Deutschförderung
geschaut – was ist der Sprachstand des wünschen, in dem wir von vornherein eine
Magazin für Vielfalt 8