Digitale Trends: Podiumsdiskussion über Chancen und Herausforderungen für Politik und Gesellschaft
Digitale Trends: Podiumsdiskussion über Chancen und Herausforderungen für Politik und Gesellschaft
Sobotka: Politik befindet sich in „Aufholjagd“ mit technologischer Entwicklung; Expert:innen sprechen sich gegen Überregulierung aus
Wien (PK) – Die digitale Transformation und ihre Bedeutung für die verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche standen gestern Abend im Zentrum der Podiumsdiskussion „Digitale Trends – Chancen und Herausforderungen“ im Parlament. Vertreter:innen der österreichischen Politik und Wissenschaften tauschten sich auf Einladung von Parlamentsdirektor Harald Dossi mit internationalen Expert:innen über die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und ethischen Implikationen der Digitalisierung aus. Die Diskussion fand im Rahmen der Konferenz „Innovation and Digital Transformation – Good Practices in European Parliaments“ des Europäischen Zentrums für parlamentarische Forschung und Dokumentation (EZWPD) statt.
Nach Eröffnungsworten von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka debattierten Maria Ulmer, Sektionsleiterin im Finanzministerium und Chief Digital Officer (CDO) des Bundes, Stefanie Lindstaedt, Gründungspräsidentin des Institute of Digital Sciences Austria (IDSA), Ana Simic, Geschäftsführerin der DAIN Studios Austria, Ross King, Head of Competence Unit „Data Science & Artifical Intelligence“ beim Austrian Institute of Technology (AIT), Frode Rein, Coordinator ICT in Parliaments im EZWPD und Andy Richardson, Programme Manager, Parliamentary Standards bei der Interparlamentarischen Union (IPU).
Nationalratspräsident Sobotka über die „Aufholjagd“ der Gesetzgebung mit der technologischen Entwicklung
Die Digitalisierung und insbesondere die künstliche Intelligenz stellen nicht nur das österreichische Parlament vor große Aufgaben, sondern stelle für Parlamente und Gesellschaften weltweit eine erheblich Herausforderung dar, erklärte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in seinen einleitenden Worten. Insbesondere die „enorme Geschwindigkeit“ der technologischen Entwicklung, lasse „gar nichts anderes übrig“, als sich intensiv mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Der Nutzen der künstlichen Intelligenz läge angesichts der zahllosen Anwendungsmöglichkeiten auf der Hand. Doch dürfe gerade das Parlament die Notwendigkeit nicht aus den Augen verlieren, deren Einsatz auch einen gesetzlichen Rahmen zu geben. Dieses Anliegen erweise sich als eine „Aufholjagd“ mit der technologischen Entwicklung, so Sobotka.
Speziell der Kampf gegen Hasspostings und Desinformation offenbart laut Sobotka eine „Achillesferse“ der westlichen Demokratien. Trotz langjähriger Debatten seien noch keine wirksamen Instrumente dagegen gefunden worden, wie die Desinformationskampagnen vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und nun auch angesichts des Konflikts im Nahen Osten demonstrieren. Verstärkt durch die Möglichkeiten, die die künstliche Intelligenz etwa in Form von Deepfakes böte, könnten solche Kampagnen künftig unseren Wahrheitsbegriff an sich erschüttern. Sobotka äußerte die Hoffnung, dass Veranstaltungen wie diese, ein tieferes Bewusstsein für die positiven sowie für die problematischen Aspekte der Digitalisierung hervorbringen können.
Podiumsdiskussion: Expert:innen fordern mehr Bewusstseinsbildung über Digitalisierung und warnen vor Überregulierung
Im Rahmen der Podiumsdiskussion sprach sich auch Maria Ulmer für internationale Lösungsansätze aus und plädierte für eine positive Herangehensweise an die Digitalisierung. Es sei Aufgabe der Politik, auf Bedürfnisse und Ängste der Bevölkerung einzugehen, was jedoch nicht in eine Überregulierung münden dürfe. Es müsse vor allem gut ausgebildeten jungen Menschen die Möglichkeit geboten werden, auch die Chancen des technologischen Fortschritts zu nutzen. Information und Ausbildung in diesen Bereichen waren für Ulmer die Schlüsselfaktoren für einen zukunftsträchtigen Umgang speziell mit künstlicher Intelligenz.
Das Risiko einer Überregulierung zulasten der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Länder, die oftmals zu großer Vorsichtigkeit tendierten, sah auch Stefanie Lindstaedt. Es müsse Raum zum Experimentieren gelassen und zusätzlich geschaffen werden, wenn Europa mit den USA oder Asien mithalten möchte. Dazu gehöre es auch der Forschung speziell im Bereich der künstlichen Intelligenz genügend Infrastruktur und vor allem Rechenleistung zu Verfügung zu stellen, sagte Lindstaedt. Besonders unterstrich sie den Wert der Interdisziplinarität für die Etablierung eines ganzheitlicheren Verständnisses technologischer Entwicklungen. So böten uns die Möglichkeiten etwa des Chatbots ChatGPT die Gelegenheit zu überdenken, was ein zukunftsfähiges Bildungssystem leisten müsse.
Ana Simic betonte die Bedeutung des Faktors Geschwindigkeit im globalen technologischen Wettbewerb. So sei nicht unbedingt das Volumen an zur Verfügung stehenden Förderungen zu gering, sondern eher die Dauer bis diese eingesetzt werden könnten zu lange. Neben der Überregulierung würde außerdem die fehlende Kompetenz insbesondere im Umgang mit künstlicher Intelligenz eines großteils der Bevölkerung ein Problem darstellen. 85 % der Organisationen gäben an, dass ihr größtes Hindernis am Weg zur digitalen Transformation der Mangel an ausgebildeten Mitarbeiter:innen sei, berichtete Simic. Daher gelte es gezielt in diesem Bereich in Aus- und Weiterbildung zu investieren.
Auch für Ross King waren Bildung und Bewusstsein entscheidende Faktoren, um die Chancen zu nutzen, die uns der technologische Fortschritt biete. Auf wirtschaftlicher und politischer Ebene könnten etwa auf künstlicher Intelligenz basierte Systeme helfen den Informationsüberfluss, mit dem wir täglich konfrontiert seien, zu bewältigen. Auf der Grundlage der gefilterten relevanten Informationen sei es möglich, bessere Entscheidungen effizienter zu treffen. King führte aus, welche Möglichkeiten dies unter anderem in der Terrorismusbekämpfung oder der Strafverfolgung eröffnen würde.
Das Problem der Politik mit der technischen Evolution schrittzuhalten, ohne die damit einhergehenden Chancen zu missachten, stand im Zentrum der Ausführungen von Frode Rein. Er berichtete von der Herausforderung für die Parlamente, einerseits in der Verantwortung zu stehen, steuernd einzugreifen und andererseits selbst vom Digitalisierungsprozess betroffen zu sein. So sei es notwendig sowohl Strategien zu entwickeln, um der Bevölkerung Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien zu vermitteln als auch die Abgeordneten selbst darin zu schulen. Gerade im parlamentarischen Prozess gelte ein eine Brücke zu schlagen, zwischen traditionellen demokratischen Verfahrensweisen und den neuesten Technologien, erklärte Rein.
Eine parlamentarischen Perspektive nahm auch Andy Richardson ein, der in der künstlichen Intelligenz die Möglichkeit sah, Effizienz zu erhöhen und Informationen für den Gesetzgebungsprozess und die Bevölkerung zugänglicher zu machen. Er teilte jedoch ebenfalls die Sorge, dass hochentwickelte Falschinformationen, etwa in Form von Deepfakes, vor allem im Zusammenhang mit Wahlen das Vertrauen in die Demokratie und die Legitimation von Institutionen untergraben könnten. Die Welt befände sich am Beginn eines neuen Bewusstseins, was den Wert dieses Vertrauens in Informationsquellen und Institutionen betrifft, so Richardson. Daher gelte es in staatenübergreifender Kooperation einen international kompatiblen Rechtsrahmen zu schaffen, ohne Innovationspotenziale einzuengen. (Schluss) wit
HINWEIS: Fotos von dieser Podiumsdiskussion finden Sie im Webportal des Parlaments.
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