„Die SPÖ und NEOS haben gegen einen Grünen-Antrag im Wiener Landtag zu Visaerleichterungen für Erdbebenopfer gestimmt“
Ömer ÖZTAŞ
Wiener Landtagsabgeordneter (Grüne Partei)
Das Erdbeben in der Türkei und Syrien hat bis zum heutigen Tag über 50.000 Menschen das Leben gekostet und Millionen obdachlos gemacht. Schon in den ersten Stunden nach dem Beben haben viele – nicht nur türkischstämmige – Menschen in Österreich und in ganz Europa getrauert und rasch geholfen. Viele Betroffene wussten aber auch, dass kein Geld dieser Welt den Schmerz, den sie fühlten, lindern konnte. Vielen ging in diesen Tagen wohl der Satz des Sängers Özdemir Erdoğan durch den Kopf: „Bir de gurbet yarası var hepsinden derin.“ (Und dann ist da noch der Schmerz des Heimwehs, tiefer als alles andere).
Viele aus der Community wollten nicht mehr länger tatenlos zusehen, wie Menschen auf den Straßen schliefen und aufgrund der Winterkälte froren. Sie wollten handeln und ihre Verwandten aus der Erdbebenregion temporär zu sich nach Österreich holen und versorgen. Das Problem dabei ist, dass für die Einreise nach Österreich unzählige Dokumente nötig sind und diese bei vielen Betroffenen noch immer unter den Erdbebentrümmern liegen. Verständlich, weil das Erste, was man bei einem Beben rettet, das eigene Leben und das Leben der Angehörigen ist und nicht der Meldezettel oder Einkommenssteuerbescheid. Um also legal nach Österreich mit einem gültigen Visum einreisen zu können, müssen alle Dokumente vollständig erbracht werden. Und das kann aufgrund der türkischen Bürokratie mehrere Monate dauern. Der Ruf nach erleichterten Visaverfahren war daher laut. Andere Länder wie Deutschland, Belgien, die Schweiz und die Niederlande haben es bekanntlich auch geschafft, Visaverfahren zu erleichtert. Bereits nach dem Erdbeben von 1999 gab es in Deutschland sogar „Ausnahmevisa“ für Betroffene aus der Türkei zur unbürokratischen Einreise zu Verwandten. Also warum sollte Österreich das nicht schaffen?
Als einer von wenigen türkischstämmigen Abgeordneten im Wiener Landtag habe ich daher die Stimme der Community in die Räume der Politik getragen und am 23. Februar einen Antrag dazu gestellt. Ich habe gemeinsam mit anderen Grünen Abgeordneten vom ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer gefordert, rasch Visaerleichterungen für die Erdbebenopfer umzusetzen. Denn besonders in Wien leben hunderttausende türkischstämmige Menschen, und viele von ihnen haben Familie in den betroffenen Gebieten. Wenn wir als Bundesland mit den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern mit türkischer Migrationsgeschichte, und dazu noch als Hauptstadt dieser Republik, den Bundeskanzler zum Handeln auffordern, dann kann er uns nicht mehr länger ignorieren! Wir wollten dabei die SPÖ-NEOS-Stadtregierung an unsere Seite holen, damit wir gemeinsam als demokratische Kräfte diesem Antrag zustimmen und ein klares Zeichen setzen.
Obwohl von Seiten der SPÖ-NEOS-Stadtregierung Zustimmung zu unserem Antrag signalisiert wurde, haben sie uns in letzter Sekunde im Stich gelassen und dagegen gestimmt. Ihre Begründung war: „Wenn wir die Türen aufmachen, dann kommen alle rein.“ Und das von einer sozialdemokratischen Partei, die noch im Wahlkampf 2019 groß „Menschlichkeit“ plakatierte. Statt Menschlichkeit in diesen schweren Stunden zu zeigen, haben sich SPÖ und NEOS in dieselbe Reihe wie die ignorante ÖVP und rassistische FPÖ gestellt. Nicht umsonst sagt ein altes Sprichwort: Gerçek dost kötü günde belli olur. (Wahre Freunde erkennt man an den schlimmsten Tagen)!
Nach dieser feigen Aktion fragen sich hunderttausende türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger: Wo ist die SPÖ, die bei jedem Wahlkampf von Geschäft zu Geschäft und von Kulturverein zu Kulturverein um Stimmen der Community wirbt? Wo ist der Aufschrei der türkischstämmigen SPÖ-Abgeordneten im Landtag und in den Bezirken gegenüber ihrer eigenen Partei? Die SPÖ hat mit ihrer feigen Aktion bewiesen, dass die türkische Community für sie nur Stimmenbringer vor Wahlen ist! Sie lassen diese Menschen in den schwersten Stunden fallen und zeigen damit ihr wahres Gesicht!
Viele Menschen haben dieses jahrelange SPÖ-Spiel satt und sind nur mehr enttäuscht! Die einstige Partei von Bruno Kreisky, die in den 1970er Jahren nicht nur meine Großeltern, sondern auch viele andere Menschen als Gastarbeiter nach Österreich brachte und ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, half, hat ihre Wurzeln vergessen! Vor jeder Wahl versprechen sie, sich für die Anliegen der Community einzusetzen und präsentieren sich als deren Stimme. Nach der Wahl vergessen sie diese, weil ihnen ein paar Stimmen aus dem rechten Lager mehr wert sind!