Die Regierung macht Ernst und diktiert den Bundesländern ein neues Modell für die Mindestsicherung. Wer verliert, wer gewinnt? Wie steigen Flüchtlinge aus? Und ist das Modell im Gegensatz zu alten Plänen nun wirklich rechtlich haltbar?
Von einer „neuen sozialen Gerechtigkeit“ sprechen die Koalitionäre, von „Zuwanderung in das Sozialsystem“ und von „explodierenden Kosten“. Knapp eine Milliarde Euro gab der Staat zuletzt im Jahr für die Mindestsicherung aus (Daten von 2016), rechnet Kanzler Sebastian Kurz vor.
Sozialausgaben Österreich 2016
Er verschweigt dabei nicht, wo die Sozialleistung besonders teuer kam: Mehr als die Hälfte der Bezieher wohnt in Wien – und davon hat wiederum die Hälfte keinen österreichischen Pass.
Ausgaben Mindestsicherung 2016
All diese Gründe machten eine Reform – sprich: Kürzung – der Mindestsicherung notwendig, argumentieren ÖVP und FPÖ seit Jahr und Tag. Bei ihrer Regierungsklausur am Sonntag und Montag in Mauerbach nahe Wien ließen die Koalitionäre ihrer Ankündigung Taten folgen: Nun liegt ein Konzept vor, das die bedarfsorientierte Mindestsicherung österreichweit auf ein einheitliches Niveau bringen soll.
Frage: Wie viel Geld bekommt ein gewöhnlicher Mindestsicherungsbezieher künftig?
Antwort: Gleich viel, wie in der Mehrzahl der Bundesländer derzeit in etwa üblich ist. Für einen einzelnen Bezieher sieht das türkis-blaue Modell 863,04 Euro im Monat vor, was der Höhe der Ausgleichszulage – eine Art Mindestpension – entspricht. Leben zwei volljährige Personen in einem Haushalt, gibt es jeweils 70 Prozent des oben genannten Richtsatzes. Ab der dritten volljährigen Person beträgt die Höhe nur mehr 45 Prozent, wenn diese einer anderen Person im Haushalt gegenüber unterhaltsberechtigt ist oder sein könnte.
Frage: Wie viel bekommen Kinder?
Antwort: Für das erste Kind sind 25 Prozent der Basisleistung von 863 Euro veranschlagt, was sogar mehr ist, als mehrere Bundesländer aktuell gewähren. Danach geht es aber rasant bergab. Das zweite Kind ist nur mehr 15 Prozent wert, ab dem dritten gibt es fünf Prozent – die erzielbare Summe wird für große Familien also deutlich sinken, das gilt gerade für Wien, wo es hohe Kinderzuschläge gibt. Schon derzeit hat die Mehrheit der Länder degressive Systeme, so radikal fällt die Abschmelzung der Beträge aber nirgends aus. Für Alleinerziehende werden die verfügten Einschnitte mit einem ebenfalls degressiv sinkenden Bonus gedämpft: Für das erste Kind gibt es 100 Euro zusätzlich, für das zweite 75, für das dritte 50, für das vierte 25. Fallbeispiele der Regierung: Eine österreichische Alleinerzieherin mit zwei Kindern erhalte künftig 1.383 statt 1.174 Euro im Monat, ein seit sechs Jahren in Wien ansässiges Ausländerpaar mit fünf Kindern hingegen nur mehr 1.684 statt 2.460 Euro.
Frage: Eigentlich wollte die Regierung die Maximalleistung doch mit 1.500 Euro im Monat deckeln. Warum wurde daraus nichts?
Antwort: Weil Niederösterreich eine ebensolche Regelung eingeführt hatte und damit beim Verfassungsgerichtshof durchfiel. Aus rechtlichen Bedenken gab die Regierung auch das Vorhaben auf, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte generell schlechterzustellen.
Frage: Was ist stattdessen geplant?
Antwort: Um Flüchtlingen doch weniger zahlen zu können, hat die Regierung den „Arbeitsqualifizierungsbonus“ erfunden. Voraussetzung, um diese 300 Euro zu erhalten und damit auf eine Basisleistung von 863 Euro zu kommen, ist prinzipiell der Abschluss der Pflichtschule in Österreich. Fehlt dieser, sind hingegen Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 – das nächsthöhere Level nach A1 und A2 – oder Englischkenntnisse auf dem Level C1 nachzuweisen. Diese Regelung soll auch für Menschen gelten, die bereits Mindestsicherung in Österreich beziehen, allerdings ist eine noch zu konkretisierende Übergangsfrist geplant.
Frage: Ist das denn nun rechtlich haltbar?
Antwort: Davon geht die Regierung aus, doch Franz Leidenmühler, Professor an der Uni Linz, widerspricht. Die Koppelung an die Deutschkenntnisse widerspreche einer EU-Richtlinie, wonach Asylberechtigten der Zugang zur notwendigen Sozialhilfe „wie den Staatsangehörigen“ zu gewähren sei, sagt der Europarechtler im STANDARD-Gespräch: „Es darf daher für Asylberechtigte keinerlei diskriminierende Zugangsvoraussetzung geben – was der Nachweis von Sprachkenntnissen wäre.“ Leidenmühler hält auch die geplanten Einschränkungen für die EU-Bürger für europarechtswidrig.
Frage: Was genau hat die Regierung da vor?
Antwort: Ebenso wie nichtasylberechtigte Drittstaatsangehörige müssen auch EU-Ausländer fünf Jahre im Land sein, ehe sie Anspruch auf Mindestsicherung bekommen. Grundsätzlich gibt es eine solche Frist bereits jetzt, allerdings mit Ausnahmen. Eine kurze Zeit an Arbeit – in Wien etwa reicht ein Monat – genügt, um bei Jobverlust für sechs Monate Mindestsicherung zu erhalten. Außerdem können EU-Bürger, die nur geringfügig arbeiten, das kärgliche Einkommen vom ersten Tag an mit der Mindestsicherung aufstocken; dafür reichen 5,5 Wochenstunden. Diese Möglichkeiten will die Regierung nun versperren.
Frage: Müssen die für die Sozialhilfe an sich zuständigen Länder die Vorgaben umsetzen?
Antwort: Dafür soll ein Grundsatzgesetz sorgen, für das Ende Juni ein Entwurf vorliegen soll. Die Regierung will den Ländern aber Spielraum gewähren – nach unten: Mehr darf nicht gezahlt werden, weniger schon. So könne das Maximum von 863 Euro auch unterschritten werden, wenn die regionalen Wohnkosten niedriger liegen.
Frage: Wehren sich die Länder denn?
Antwort: Aus den ÖVP-Ländern drang erst einmal nur Lob. Die roten Regenten aus Wien, Kärnten und dem Burgenland klagen über den Alleingang den Bundes, halten sich aber mit der inhaltlichen Bewertung zurück, solange kein Gesetz vorliegt. Für Michael Landau gilt das nicht. Sprachkurse zu kürzen und gleichzeitig Sprachkenntnisse zur Bedingung für Sozialleistungen zu machen, ergebe keinen Sinn, sagt der Caritas-Präsident, und: „Keiner Mindestpensionistin geht es besser, wenn es einer kinderreichen Familie schlechter geht.“(Gerald John, 28.5.2018)
Quelle – derstandard.at