Regierung einigt sich auf Mindestsicherung neu.

Maximal 863 Euro und Nachteile für Ausländer

Die Mindestsicherung wird bundesweit einheitlich gestaltet – doch die rechtliche Haltbarkeit des Modells ist fraglich.

Kurz: „Selbstverständlich verfassungskonform“

Wien/Mauerbach – Die Regierung hat am Montag zum Abschluss ihrer Klausur in Mauerbach wie erwartet eine Reform der Mindestsicherung vereinbart. Ziel ist, dass die Leistung zwischen den Bundesländern annähernd gleich hoch ist. Zudem werden Großfamilien niedrigere Bezüge lukrieren, und für Ausländer wird es schwieriger, die Mindestsicherung überhaupt zu erhalten. Konkret sind, angelehnt an den Ausgleichszulagenrichtsatz, 863,04 Euro vorgesehen. Um die Leistung überhaupt zu erhalten, sind aber gewisse Voraussetzungen zu erfüllen.

Zudem sind die 863 Euro nur ein Maximalbetrag. Die Länder, die die Vorgaben innerhalb von sechs Monaten umsetzen müssen, haben einen Spielraum bei den Wohnkosten. Sie können also auch eine niedrigere Maximalsumme festlegen. Großer Widerstand ist von ihnen nicht zu erwarten, denn das Modell entspricht in groben Zügen dem, das schon nach der Aufhebung der niederösterreichischen Mindestsicherung durch den Verfassungsgerichtshof innerhalb der ÖVP zwischen Klub und Ländern diskutiert wurde.

Geht es nach den Plänen der Regierung, ist in der Summe auch ein „Arbeitsqualifizierungsbonus“ von 300 Euro enthalten. Den erhält de facto jeder Österreicher, da als eine der Voraussetzungen bloß der Pflichtschulabschluss genannt wird. Dieser Punkt zielt also auf Flüchtlinge ab. Denn alternativ lukriert man den Bonus mit Deutschkenntnissen auf Niveau B1 oder Englischkenntnissen auf dem (noch höheren) Niveau C1. Auch weitere Qualifizierungsmaßnahmen wie eine unterschriebene Integrationsvereinbarung und ein abgeschlossener Wertekurs sollen nachgewiesen werden müssen.

Um die geforderte Qualifikation zu erreichen, sollen Kurse angeboten werden. Wer physisch oder psychisch nicht in der Lage ist, die Voraussetzungen zu erfüllen, ist von den Verpflichtungen ausgenommen.

Deutsch künftig „der Schlüssel“ zur vollen Mindestsicherung

Deutsch sei künftig der „Schlüssel“ zur vollen Mindestsicherung, betonte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVVP) jedenfalls bei der Pressekonferenz zum Abschluss der Regierungsklausur in Mauerbach. Überprüft werden die Sprachkenntnisse vom Integrationsfonds (ÖIF). Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erklärte, dass der Sprachnachweis nicht nur für künftige Bezieher gelten wird, sondern nach gewissen Übergangsfristen auch für bestehende.

Notwendig sei die Reform wegen „explodierender“ Kosten, führte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) aus. Die Zahl der Mindestsicherungsbezieher sei in den vergangenen Jahren „massiv gestiegen“, sagt Kurz mit Verweis auf ein Plus von 60 Prozent seit 2012.

Die Mindestsicherung macht dennoch weiterhin nur einen verschwindend geringen Anteil an allen Sozialausgaben aus. Laut Statistik Austria und Berechnungen der Arbeiterkammer entsprechen die im Jahr 2016 vergebenen 924 Millionen Euro für die Mindestsicherung etwa 0,9 Prozent der gesamten Sozialzahlungen aus.

„Erschreckend“ ist für den Kanzler auch die Verteilung, nämlich über 50 Prozent in Wien, und davon wiederum die Hälfte Ausländer. Ziel sei es, mehr Anreize zu schaffen, arbeiten zu gehen, aber auch „die Zuwanderung in unser Sozialsystem zu bekämpfen“, so Kurz. „Wer nach Österreich zuwandert, kann nicht vom ersten Tag an die volle Mindestsicherung kassieren“, pflichtete Strache bei.

Senkung der Kinderzuschläge

Die Maximalhöhe der Mindestsicherung (für Familien) soll unter anderem durch eine Senkung der Kinderzuschläge erreicht werden. So gibt es schon für das erste Kind nur 25 Prozent der Leistung, für das zweite 15 und ab dem dritten gerade noch fünf Prozent. Bessergestellt sind Alleinverdiener. Sie erhalten für das erste Kind einen Bonus von 100 Euro, für das zweite 75 Euro, das dritte 50 Euro und für jedes weitere 25 Euro. Eine österreichische Alleinerzieherin mit zwei Kindern soll in Zukunft 1.383 statt 1.174 Euro bekommen, rechnete die Koalition vor. Eine tschetschenische Familie mit fünf Kindern, die seit sechs Jahren in Österreich lebt, soll nur mehr 1.684 statt 2.460 Euro erhalten, lautete ein weiteres Rechenbeispiel.

Für volljährige im Haushalt lebende Personen gibt es 70 Prozent. Ab der dritten leistungsberechtigten volljährigen Person, wenn diese einer anderen Person im Haushalt gegenüber unterhaltsberechtigt ist oder sein könnte, sind 45 Prozent vorgesehen. Grundsätzlich wird festgehalten, dass die Mindestsicherung für EU-Bürger und sonstige Drittstaatsangehörige erst nach fünf Jahren Wartezeit zu gewähren ist. Bisher gab es zumindest in Ausnahmefällen die Möglichkeit, die Leistung schon davor zu erhalten.

Rechtsexperte hält Modell für rechtswidrig

Eine entscheidende Frage lautet aber: Geht das neue Modell mit Verfassung und Europarecht konform? Schließlich hatte die Regierung die Pläne für einen Deckel bei 1500 Euro und eine generelle Schlechterstellung von Flüchtlingen ad acta legen müssen, weil der Verfassungsgerichtshof in Niederösterreich genauso solche Regelungen aufgehoben hatte. Franz Leidenmühler, Europarechtler an der Uni Linz, hält freilich auch Teile des nun vorgestellten Konzepts für rechtswidrig. Die Koppelung des vollen Bezugs an die Deutschkenntnisse widerspreche einer EU-Richtline, wonach Asylberechtigten der Zugang zur notwendigen Sozialhilfe „wie den Staatsangehörigen“ zu gewähren sei, sagt Leidenmühler im Gespräch mit dem STANDARD: „Es darf daher für Asylberechtigte keinerlei diskriminierende Zugangsvoraussetzung geben – was der Nachweis von Sprachkenntnissen wäre.“

Kanzler Kurz hingegen zeigte sich am Montag überzeugt, mit den vorgelegten Mindestsicherungsplänen eine „selbstverständlich verfassungskonforme“ Lösung geschaffen zu haben. Es handle sich um ein „verfassungskonformes, aber gleichzeitig gerechtes System“. Er räumte allerdings ein: „Wir sind nicht der Verfassungsgerichtshof.“ Sprachkenntnisse für die volle Mindestsicherung nachweisen müssen nach einer Übergangsfrist auch bestehende Bezieher.

Mikl-Leitner identifiziert sich mit neuem Modell

Aus Niederösterreich meldete sich noch währende der Pressekonferenz der Regierung Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die sich mit dem neuen Modell identifiziert. Man habe nach Aufhebung des niederösterreichischen Modells durch den VfGH umgehend neue Vorschläge entwickelt: „Diese Vorschläge haben der Bundesregierung jetzt offenbar als Grundlage für ihren heutigen Beschluss gedient.“

Für Mikl-Leitner ist entscheidend: „Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein.“ Zudem sei ihr Ziel immer eine bundeseinheitliche Regelung gewesen. Daher sei sie mit dem aktuellen Beschluss zufrieden, betonte die Landeshauptfrau, die Sonntagabend auch am Abendessen der Regierung bei der Tagung in Mauerbach teilgenommen hatte.

Kurz zufolge hat die türkis-blaue Koalition Anleihen am oberösterreichischen und am niederösterreichischen Modell genommen – und ein verfassungskonformes Modell vorgelegt. Was die Begrenzung bei größeren Familien betrifft, trage man mit einer „starken degressiven Einschleifregelung“ (statt eines Deckels) dem VfGH-Erkenntnis Rechnung, meinte ÖVP-Verhandler und -Klubchef August Wöginger. „Wir führen hier die neue soziale Gerechtigkeit ein.“ Wöginger sieht darin ein Signal an jene, die arbeiten. Das aktuelle System blockiere Arbeit und Leistung, findet auch die Sozialministerin.

Aus für „Wildwuchs“ in den Bundesländern

Hartinger-Klein unterstrich, dass man mit dem neuen Rahmengesetz den „Wildwuchs“ in den Bundesländern beende, die etwa Arbeitsanreize und Sanktionen völlig unterschiedlich regelten. Nun etabliere man ein wirksames Kontroll- und Sanktionssystem. „Wir beenden endlich den Fleckerlteppich“, sagte auch Kurz. Wie auf Nachfrage klargestellt wurde, können die Bundesländer freilich die Maximalvorgaben auch unterschreiten.

Der Gesetzesentwurf soll spätestens Ende Juni vorliegen und dann in Begutachtung gehen, im Herbst soll die Reform im Parlament beschlossen werden.

Quelle – APA

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