Paiha: Unser Hauptanliegen ist die Abschaffung des diskriminierenden Ausländer beschäftigungsgesetzes.

Brücke: Beim Besuch der AK Vollversammlung ist uns bei der Vorstellung des Jahresvoranschlages aufgefallen, dass Maßnahmen im Migranten- und Integrationsbereich nicht mehr angeführt sind. Gibt es dafür einen Grund?

Paiha: Der Jahresvoranschlag der Arbeiterkammer stellt generell keine Massnahmen dar, sondern Geldsummen für die einzelne Tätigkeitsbereiche der Arbeiterkammer. Das Thema Migration/Integration findet sich in diversen Budgetposten wieder, etwa in den Bereichen Wirtschaft, Bildung, Soziales, Öffentlichkeitsarbeit etc. Insofern wurden in den Jahresvoranschlägen auch in der Vergangenheit keine „Massnahmen im MigrantInnen- und Integrationsbereich“ angeführt, stellt also der Jahresvoranschlag für 2018 in dieser Hinsicht keine Veränderung zu früher dar.Die einzelnen Massnahmen werden in detaillierten Arbeitsprogrammen der Abteilungen festgelegt und im Laufe des Jahres umgesetzt. Die Arbeitsprogramme basieren auf den politischen Beschlüssen der AK-Vollversammlungen. Leider ist es nicht möglich, sie in ihrer Gesamtheit auf der Homepage der AK-Wien nach zu verfolgen. Diese lang-jährige AUGE/UG-Forderung blieb bislang unerfüllt.

Brücke: Welche Services wurden in der Vergangenheit im Migrationsbereich (zB. bei austrotürkischen Migranten) angeboten, was soll in Zukunft angeboten werden und was nicht?

Paiha: Über das gesamte Serviceangebot der AK-Wien für Menschen mit Migrationshintergrund kann ich nicht umfassend Auskunft geben – das wäre bei der Geschäftsführung der Arbeiterkammer abzufragen. Zu den wichtigsten Services gehört aber zweifelsohne die arbeits- und sozialrechtliche Beratung in vielen verschiedenen Sprachen. So können auch Menschen mit niedrigem Einkommen oder noch geringen Deutschkenntnissen zu ihren Rechten und ihrem Geld kommen. Auch von den anderen Beratungsangeboten, etwa KonsumentInnenschutz oder Steuerrecht profitieren insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen, die bekanntermassen unter den Zugewanderten einen höheren Anteil haben. 88 Millionen Euro wurden 2016 auf diese Weise alleine in Wien für die Betroffenen erstritten!

Nicht zu vergessen seien auch die verschiedenen Bildungsangebote der AK direkt, über den Bildungsgutschein oder branchenweise über die Fachausschüsse der AK.

Weit unbekannter, aber in der Auswirkung noch viel bedeutender, ist die politische Tätigkeit der Arbeiterkammer, die nachhaltig die Lebensbedingungen der Menschen mit Migrationshintergrund verändern kann. Auch, wenn erst die Anfechtung der AK-Wahlen 1999 durch unsere Vorarlberger Fraktion „Gemeinsam – Alternative und Grüne GewerkschafterInnen“ und das Urteil des Europäischen Gerichtshofes notwendig waren, um Arbeitnehmer-Innen ohne österreichische Staatsbürgerschaft das passive Wahlrecht zur Arbeiterkammer zu ermöglichen und sie damit zu vollwertigen AK-Mitgliedern machen, haben inzwischen auch die Arbeiterkammern erkannt, dass ein erheblicher Anteil an Beschäftigten Migrationshintergrund hat – in Wien immerhin 42 Prozent – und insofern besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Dies schlägt sich z.B. in der Aufgabenstellung für Studien nieder, die im Auftrag der AK gemacht werden. Einerseits wurden eine Vielzahl an Studien beauftragt, die sich explizit mit der Beschäftigungs- und Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund befassen: „Beschäftigungssituation von MigrantInnen“ (2011, 2014, 2015), „Ohne Arbeit – Über die eingeschränkten Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten von AsylwerberInnen“ (2013), „Staatsbürgerschaft“ (2013), „Migration und Lehre“ (2014), „Menschen mit Migrationshintergrund besser erreichen – Leitfaden zur Maßnahmengestaltung in Gesundheitsförderung und -versorgung“ (2015), um nur einige Beispiele zu nennen. Anderer-seits wird auch in anderen Studien explizit die Betroffenheit von MigrantInnen erforscht, sei es bei den Themen Arbeitslosigkeit und Gleichbehandlung oder bei der Erhebung der Situation der Beschäftigten im Handel, Arbeitsplatzbelastungen, Nachhilfekosten etc. Auf Basis dieser Erhebungen werden von der Arbeiterkammer Forderungen entwickelt, die sie im Gesetzwerdungsprozess und Sozialpartnerverhandlungen umzusetzen versucht. So hat sich beispielsweise die AK für ein Lohn- und Sozialdumpinggesetz stark gemacht, das verhindern soll, dass Betriebe straffrei Menschen zu Dumpinglöhnen und ohne soziale Absicherung beschäftigen.

Derzeit bemüht sich die AK gerade intensiv, Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder herzustellen, unabhängig davon, wer die Eltern sind und wie hoch das Familieneinkommen ist. Das betrifft besonders Kinder und Jugendliche, die selbst oder deren Eltern zugewandert sind. Das schaut einerseits so aus, dass sie über ExpertInnen versucht, in der Öffentlichkeit und gegenüber Entscheidungsträgern klar zu machen, dass Mehrsprachigkeit kein Fehler, sondern eine Chance ist. Andererseits durch den Einsatz für eine Finanzierung von Schulen, die sicherstellt, dass jene Schulen mehr Geld bekommen, wo mehr Kinder mit Unterstützungsbedarf sind. Wenn nicht die nächste Bundesregierung alles zunichte macht, ist diese Art der Finanzierung in Wien für die nächsten Jahre sichergestellt und soll künftig allen Kindern die gleichen Chancen ermöglichen. Das sind nur einige Beispiele, welche Aktivitäten die Arbeiterkammer im Interesse von Menschen mit Migrationshintergrund setzt. Über die Homepage der Arbeiterkammer kann man sich in den veröffentlichten Artikeln, Presseaussendungen, Studien, Veranstaltungen etc. davon überzeugen, dass das noch längst nicht alles ist.

Voraussetzung dafür ist aber wie gesagt, dass es eine politische Beschlussfassung dazu gibt, in diesem Sinne zu handeln. Diese erfolgt über Anträge und die politische Debatte in der AK-Vollversammlung und den diversen Ausschüssen der Arbeiterkammer, der die gewählten MandatarInnen der AK angehören.

Brücke: Welche Maßnahmen wurden von Ihrer Fraktion im Migrantenbereich vorgestellt und umgesetzt? Welche Maßnahmen werden zukünftig gesetzt?

Paiha: Unser Hauptanliegen ist die Abschaffung des diskriminierenden Ausländerbeschäftigungsgesetzes: Wer in Österreich lebt, muss hier auch arbeiten dürfen! Das inkludiert auch die Öffnung des Arbeitsmarktes – und des ungehinderten Zuganges zu Lehrstellen – für Asylwerbende. Auch sie sollen die Möglichkeit haben, auf eigenen Beinen stehen zu können.

Die AUGE/UG war auch an der Entstehung von „UNDOK – Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender“ mit Sitz im ÖGB beteiligt, die übrigens auch von der Arbeiterkammer unterstützt wird. Ich halte dies für eine grossartige und wichtige Einrichtung, die Menschen bei der Durchsetzung ihrer Rechte aus dem Arbeitsverhältnis verhilft, egal, ob sie die ausreichenden Dokumente besitzen, um in Österreich arbeiten zu dürfen. MigrantInnen brauchen Unterstützung, damit sie mög-lichst schnell ihr Leben selbständig gestalten können. Zum Spracherwerb soll es individuelle Förderung geben, das heisst auch, während der gesamten Bildungslaufbahn Unterstützung der Herkunftssprache als Basis für Spracherwerb generell und Anerkennung von Mehrsprachigkeit als besondere Kompetenz. Das AMS soll weiterhin einen Fokus darauf haben, welche Unterstützung Menschen mit Migrationshintergrund brauchen, um gute und sichere Arbeitsplätze finden zu können. Die Anerkennung der im Ausland erworbenen Ausbildungen muss einfacher und schneller von Statten gehen und das Nachholen formaler Bildungsabschlüsse erleichtert werden.

Für unbedingt notwendig halten wir auch das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene: wer hier lebt, hier Steuern zahlt, soll auch mitbestimmen und mitgestalten können. Neben der Erleichterung des Familiennachzugs (weg mit der Quote, weg mit „Deutsch vor Zuzug“ und dem Mindest – Familieneinkommen), wollen wir generell eine erhöhte Aufenthaltssicherheit für zugewanderte Menschen.

Aktuell kämpfen wir gegen die Kürzung der Mindestsicherung, die eine akute Existenzbedrohung insbesondere für Zugewanderte bedeutet, die ohnehin schon schwierige Ausgangssituationen haben. Unsere weiteren Forderungen und Initiativen bitte ich, aus unserem Programm, das ein umfassendes Kapitel „Gleiche Pflichten – gleiche Rechte“ enthält, und aus unseren Anträgen an AK und Gewerkschaften herauszulesen, beides veröffentlicht unter www.auge.or.at.

Brücke: Die neue Regierung überlegt, die Kammerumlagen abzuschaffen. Welche Vor- und Nachteile hätte dies für ArbeitnehmerInnen?

Paiha: Vor allem die politische Arbeit der AK, aber auch ihre Serviceleistungen, kommen insbesondere den ökonomisch und sozial schlechter gestellten Menschen zugute. Eine Senkung der Arbeiterkammerumlage würde auch heissen, dass für diese wichtige Arbeit weniger Ressourcen zur Verfügung stehen – sowohl an ExpertInnen, als auch an (Info-)Material oder Bildungsangeboten. Die Schieflage zwischen den Einflussreichen und Mächtigen (z.B. Industriekapitäne, Gesetzgeber) und den von deren Aktivitäten Betroffenen würde noch grösser werden: Menschen mit niedrigem Einkommen können sich keine Rechtsanwälte und Lobbyisten für ihre Interessen leisten – erst recht nicht, wenn jeder und jede für sich kämpfen muss! Im Gegensatz dazu ist der Beitrag, den die Einzelnen zu der kollektiven und kompetenten Interessenvertretung Arbeiterkammer leisten müssen, sehr gering: weniger, als drei mal im Monat Kaffee oder Tee trinken gehen, kostet der durchschnittliche AK-Beitrag – für Leute mit geringem Einkommen sogar gar nichts: mehr als 800.000 Menschen werden von der Arbeiterkammer vertreten, ohne einen Beitrag zahlen zu müssen! Profitieren tun wir alle davon: nur in Gesellschaften, wo Armut und Ausbeutung verhindert werden, ist ein Zusammenleben in Frieden möglich!

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