Interview

Maria: Kammern, die keine gesetzliche Mitgliedschaft haben, sind schwache Vereine, die von Lobbying leben.

Brücke: Die österreichische Wirtschaftskammer verpflichtet rund 480.000 Unternehmen aus den Sektoren wie Wirtschaft, Handwerk, Industrie, Infrastruktur, Tourismus und Dienstleistung sowie aus Arbeitsbereichen der Finanzen und Versicherungen zur Mitgliedschaft. Anhand dieser immensen Anzahl an Mitgliedschaften erkennen wir, welch eine große Organisation die Wirtschaftskammer ist. Könnten Sie uns von den Grundprinzipien und Aufgaben der Wirtschaftskammer, die uns durch diesen Machteinfluss bekannt ist, berichten?

Mag. Anna Maria Hochhauser Wirtschaftskammer Österreich, Büro Generalsekretärin

Hochhauser: Als gesetzliche Vertretung der gewerblichen Wirtschaft in Österreich stehen für die Wirtschaftskammern die drei Geschäftsbereiche Interessenvertretung, Service und Bildung im Vordergrund. Eine zentrale Aufgabe der Wirtschaftskammer Österreich als Bundesorganisation ist die aktive Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Als starke Stimme der Unternehmen setzen wir uns für eine zukunftsorientierte und wirtschaftsfreundliche Politik ein, z.B. für Steuerentlastung und Bürokratie-Abbau. Im Bereich der Service bieten wir den Betrieben maßgeschneiderte Unterstützung: So steht z.B. das Gründerservice mit Rat und Tat beim Weg in die Selbstständigkeit zur Seite. Über die AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA hilft die WKÖ allen Firmen – egal ob Exportneuling oder Exportprofi – dabei, eine Brücke in die Welt zu schlagen. Und mit den WIFIs ist die Wirtschaftskammerorganisation der wichtigste Qualifizierungspartner zum Nutzen der Mitglieder und ein aktiver Wissensvermittler in allen Belangen der Wirtschaft.

Brücke: Im Jahr 2013 erreichte die Wirtschafskammer ein landesweites Ein-kommen von 850 Mio. Euro, von welchen 500 Mio. Euro nur aus verpflichtenden Mitgliedschaftsbeiträgen bestanden. Dieser Zustand steigt mit der Zunahme an Unternehmen. Entstehen anlässlich der verpflichtenden Mitgliedschaft negative Stimmungen zu den Tätigkeiten der Wirtschafskammer? Was ist ihre Meinung dazu?

Hochhauser: Die Wirtschaftskammerorganisation bietet ihren Mitgliedern umfassende Leistungen und stößt damit bei den Betrieben auf hohe Zustimmungen, wie uns Umfragen immer wieder bestätigen. Klar ist, dass diese Leistungen ohne gesetzliche Mitgliedschaft in dieser Qualität nicht zu finanzieren wären. Auch die Sozialpartnerschaft, um die Österreich vielerorts beneidet wird und die ein Eckpfeiler des sozialen Friedens in Österreich ist, hätte ohne gesetzliche Mitgliedschaft nicht diese Gestaltungs- und Wirkungskraft entfalten können. Ein Blick in andere Länder zeigt zudem: Kammern, die keine gesetzliche Mitgliedschaft haben, sind schwache Vereine, die von Lobbying leben. Dort gilt: wer zahlt, schafft an – bei den angebotenen Leistungen ebenso wie in der Interessenvertretung. Zudem darf ich in Erinnerung rufen, dass die Wirtschaftskammer in den vergangenen 15 Jahren drei große Reformpflöcke eingeschlagen hat – darunter eine Reduktion der Mitgliedsbeiträge um 30 Prozent bei gleichzeitigem Ausbau der Services um 30 Prozent. Derzeit befindet sich die Wirtschaftskammer mitten in der Umsetzung der nächsten Reform. Ab 2019 werden rund 134 Millionen Euro zugunsten der Mitglieder bewegt: zum einen durch eine substanzielle Reform der Mitgliedsbeiträge, von der jedes einzelne Unternehmen – ob Kleinstunternehmen, klassischer Mittelständler oder international agierendes Großunternehmen – profitiert, zum anderen durch den Ausbau der Service-Leistungen insbesondere im Bereich Innovation und Digitalisierung. Die Wirtschaftskammer ist eine Organisation auf der Höhe der Zeit!

Brücke: In welcher Form bieten Sie als Wirtschafskammer sowohl Unternehmen, die aktuell Mitglieder sind als auch denjenigen, die ein Unternehmen gründen möchten, Anregungen und Möglichkeiten?

Hochhauser: Da kann ich durchaus mit Stolz auf das Gründerservice der Wirtschaftskammern in den Bundesländern verweisen, das die Anlaufstelle Nummer 1 für Österreichs Gründer ist. Es bietet professionelle Beratung für den Start ins Unternehmertum – durch kostenlose, individuelle Beratungsgespräche, diverse Online-Tools, die in den verschiedenen Phasen der Gründung extrem hilfreich sind oder Workshops in ganz Österreich etc. An den über 90 Standorten gab es 2016 österreichweit 254.400 Kontakte, 48.700 Beratungen und 45.000 elektronische Gewerbeanmeldungen. Durchschnittlich 30.000 Gründungen im Jahr und eine im EU-Vergleich deutlich höhere Überlebensdauer zeugen von der hochprofessionellen Begleitung durch das Gründerservice.

Brücke: Wenn wir uns die Migrantengruppierungen in Österreich ansehen, kann der Beitrag der AustrotürkInnen zur österreichischen Wirtschaft sowohl als Arbeitskraft als auch als ArbeitgeberIn nicht außer Acht gelassen werden. Trotz dessen sind wichtige Institutionen in Österreich, wie die Wirtschaftskammer, in engerem Kontakt mit anderen Migrantengruppierungen (wie z.B. serbischen und kroatischen). Wie beurteilen Sie diese grundlos entstandene, künstliche Diskriminierung

Hochhauser: Ganz generell: Ich halte nichts davon, verschiedene Migrantengruppen auseinanderzudividieren. Zudem muss ich darauf hinweisen, dass Schwerpunkt der WKÖ die Interessensvertretung ist und wir daher keinen unmittelbaren Mitgliederkontakt haben. Dafür sind die Landeskammern zuständig. Insbesondere die WK Wien nimmt sich des Themas Mitglieder mit Migrationshintergrund seit langem sehr engagiert an. Es gibt z.B die Veranstaltungsreihe „Wiener Wirtschaft spricht Vielfalt“, bei der für die Mitglieder relevanten Themen mehrsprachig aufbereitet werden. Dabei werden für die verschiedenen Communities Infoveranstaltungen angeboten, selbstverständlich auch für die türkischsprachige Community. Zudem kann in der WK Wien in der direkten und indirekten Mitgliederbetreuung auf muttersprachliche Unterstützung zurückgegriffen werden. Sehr gut angenommen werden auch die mehrsprachigen Informationsmaterialien auf wko.at, die auch auf Türkisch verfügbar sind: www.wko.at/site/mehrsprachige_info/start.html Sie sehen: Von Diskriminierung kann keine Rede sein! Jedes Mitglied, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, hat in der Wirtschaftskammer gleichberechtigten Zugang zu allen Informationen und Services.

Brücke: In Gesprächen mit austrotürkischen UnternehmerInnen betonten diese, dass sie ihren Beitrag zur österreichischen Wirtschaft steigern möchten. Doch sie beklagten, dass bis dato keine der wichtigen Institutionen in Österreich spezielle Aktivitäten, Gespräche oder Seminare organisiert hatten um sie zu informieren oder in Kontakt zu treten. Generell sind sie neugierig, ob die Österreichische Wirtschafskammer, die sie als ihren Ansprechpartner sehen, für 2018 spezielle Aktivitäten, Gespräche oder Seminare geplant hat, bei welchen UnternehmerInnen mit türkischem Migrationshintergrund berücksichtigt werden. Wird eine derartig geplante Organisation stattfinden?

Hochhauser: Wie schon erwähnt, steht in der WKÖ die Interessenvertretung im Zentrum. Für entsprechende Veranstaltungen darf ich an die diversen Landeskammern verweisen, insbesondere die WK Wien. Lassen Sie mich aber noch das Projekt „Mentoring für MigrantInnen“ nennen, das die Wirtschaftskammern österreichweit gemeinsam mit dem Österreichischen Integrationsfonds und dem AMS anbieten. Dabei unterstützen MentorInnen aus der Wirtschaft qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund auf ihrem Weg in den österreichischen Arbeitsmarkt. Auch davon haben selbstverständlich bereits viele Personen mit türkischem Migrationshintergrund profitiert.

Brücke: Welches Migrantenmedium verwenden Sie um bei Themen zur Transparenz wie. z.B. Kampagnen, Bekanntmachungen, allgemeine Tätigkeiten etc. die Menge der Österreichischen MigrantInnen, zu den auch einige ihrer Mitglieder angehören, anzusprechen.

Hochhauser: Ganz ehrlich, ich sehe auch die Unternehmen mit migrantischen Wurzeln als Teil der österreichischen Business-Community. Allen Unternehmerinnen und Unternehmern, egal welche Muttersprache sie sprechen, geht es doch um faire und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, um den Abbau von Bürokratie, um ein wirtschaftsfreundliches Umfeld, um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etc. Dass wir als Organisation unsere Forderungen zu diesen Themen so kommunizieren, dass sie möglichst viele unsere Mitglieder, aber auch die Entscheidungsträger in der Politik möglichst punktgenau erreichen, versteht sich von selbst. Da einzelnen Medien herauszuheben, halte ich nicht für sinnvoll.

Brücke: Wir sehen, dass in den austrotürkischen Medien kaum von den Tätigkeiten der Wirtschaftskammer berichtet wird. Aber wir sehen, das in anderen österreichischen Medieneinrichtungen anhand der Einkommen, die durch die Mitgliedschaftsbeiträge erlangt werden, bezahlte Kampagnen durchgeführt werden. Um unsere LeserInnen zu informieren. erstatten wir als austrotürkischen Medium notwendige Berichte kostenlos. Weshalb bevorzugen Sie es nicht, die rund 13.000 türkischstämmigen Unternehmen, die in der Konstitution der Wirtschaftskammer Platz nehmen, über Themen und Inhalte, die sie betreffen, anhand von Inseraten in den austrotürkischen Medien auf ihrer eigenen Sprache zu informieren? Gibt es generell einen speziellen Grund dafür?

Hochhauser: Selbstverständlich freue ich mich über jeden Bericht, den Sie in Ihrem Medium zu den Aktivitäten der Wirtschaftskammer publizieren!

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