IKG-Präsident Deutsch: Massaker der Hamas in Israel war „schlimmstes Genozid an Juden seit 1945“
Parlament gedenkt der Novemberpogrome vor 85 Jahren; Zeitzeuge Benno Kern erinnert sich an damalige Geschehnisse
Wien (PK) – Die Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober „waren der schlimmste Genozid an Juden seit 1945“. Mit über 1.400 bestialisch Ermordeten habe es mehr Tote als in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 gegeben. Das betonte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Oskar Deutsch heute bei der Gedenkveranstaltung im Parlament anlässlich des 85. Jahrestags der Novemberpogrome. Man könne die Massaker nicht mit der Shoah vergleichen, das würde die Shoah relativieren, sagte er. Das Ziel der Hamas sei aber das gleiche: eine systematische Vernichtung der Juden.
Deutsch zeigte in diesem Sinn kein Verständnis für eine Relativierung des Massakers oder Rufe nach Kontextualisierung, wobei er nicht nur „dem Tod huldigende“ Antisemiten und „Israelhasser“ adressierte. Auch von „Linksradikalen“, die mit Islamisten gemeinsame Sache machten, sowie von Rechtsextremen und Neonazis gingen antisemitische Bedrohungen aus, warnte er. Allein in Österreich wurde ihm zufolge in den letzten Wochen ein 400-prozentiger Anstieg antisemitischer Vorfälle verzeichnet.
An die Anwesenden appellierte Deutsch, mitzuhelfen, dass es nie wieder einen 7. Oktober und nie wieder einen 9. November gebe. Die Novemberpogrome seien der Beginn der systematischen Vernichtung des Judentums im „Deutschen Reich“ gewesen. Letztendlich seien sechs Millionen Menschen aus einem einzigen Grund ermordet worden: Weil sie Juden gewesen seien. Derartiges dürfe nie wieder passieren. „Nie wieder ist jetzt!“, bekräftigte er wie schon vor ihm Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1169/2023).
Den Staat Israel sieht Deutsch dabei als eine Art „Lebensversicherung“ für Juden und Jüdinnen weltweit, „auch für uns in Österreich“. Israel sei eine wehrhafte Demokratie, die sich für den Schutz jüdischen Lebens ebenso einsetze wie für den Schutz allen unschuldigen Lebens, sagte er. Ausdrücklich bedankte sich Deutsch für die Unterstützung durch das Parlament – sowohl der Koalition als auch der Opposition -, auch von muslimischer Seite gebe es diese „vereinzelt“.
Kern: So etwas darf nie wieder passieren
Danach schilderte der Holocaust-Überlebende Benno Kern, Vorsitzender des Wiederaufbaufonds der Schiffschul-Synagoge, in einem Gespräch mit ORF-Journalistin Lisa Gadenstätter seine damaligen Erlebnisse. Der 95-Jährige ist einer der wenigen Menschen, die noch über die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 erzählen können, als Nationalsozialisten auch in Wien jüdische Einrichtungen stürmten und in Brand setzten, Geschäfte zerstörten, Wohnungen plünderten und Jüd:innen mit besonderer Brutalität verfolgten und drangsalierten.
Geboren 1927 in Wien, war Kern zum Zeitpunkt der Pogrome elf Jahre alt und besuchte die jüdische Talmud-Thora-Schule. Er sei am 10. November wie gewöhnlich um acht Uhr zur Schule gegangen, schilderte Kern, und habe trotz der Warnung von Kindern, die ihm entgegengelaufen sind, den Weg fortgesetzt. Der Schuldirektor sei am Boden gelegen, die Angreifer hätten ihm ins Gesicht getreten, das Blut sei „nur so gespritzt“. Auch die anderen Lehrkräfte habe man halb tot geschlagen. Bücher und rituelle Gegenstände seien aus den Fenstern geworfen worden, und im Hof habe ein riesiger Scheiterhaufen gebrannt. Später habe man Thorarollen auf der Straße aufgerollt und darauf „Indianertänze“ gemacht, berichtete Kern: „Das war fürchterlich.“ Er sei dann davongelaufen, doch kurz vor Erreichen der Wohnung habe ihm der Kohlenhändler „ein Haxerl gestellt“ und die Jungen der Hitler-Jugend hätten ihn verprügelt. Mit letzten Kräften habe er es nach Hause geschafft.
Später flüchtete Kern mit seinen Eltern über Umwege nach Frankreich, wo seine Familie 1942 verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurde. An der Rampe des KZ, wo die Ankömmlinge selektiert wurden, sei Alex in SS-Uniform gestanden, ein ehemals netter Betreuer eines Kindercamps, der seinerzeit mit ihm und den anderen Kindern gespielt habe. Dieser habe zwei Männer aus der Schlange totgeschlagen, weil er sich provoziert gefühlt habe. Im Frühjahr 1945 wurde Kern dann gemeinsam mit seinem Vater auf den Todesmarsch in Richtung KZ Buchenwald geschickt, unterwegs hat ein Wächter seinen Vater erschossen. Kern selbst wurde – nur noch 28 Kilo wiegend – am 11. April befreit und kehrte als einziger Überlebender seiner Familie nach Wien zurück.
Seine Botschaft an die heutigen Generationen sei: „Nie wieder darf so etwas passieren“, sagte Kern. „Gott behüte, dass so etwas nochmal kommt!“. Eine besondere Gefahr sieht er dabei vom Iran und dessen „Helfer“ ausgehen, etwa der Hamas und der Hisbollah. Auf Österreich bezogen, ist es Kerns großer Traum, dass die Schiffschul-Synagoge wieder aufbaut wird – trotz entsprechender Zusagen ortet er aber viele bürokratische Hürden.
Eingespielt wurden bei der Veranstaltung auch einige Ausschnitte aus der ORF-Dokumentation „Alter Hass, neuer Wahn: Antisemitismus – Geschichte eines tödlichen Vorurteils“, die gestern Abend im Rahmen der Serie „Menschen & Mächte“ ausgestrahlt wurde. Regisseur Robert Gokl geht darin den Wurzeln und den Auswirkungen des gewalttätigen Antisemitismus nach und dokumentiert das Weiterwirken antisemitischer Vorurteile nach 1945 (siehe dazu auch Parlamentskorrespondenz Nr. 1125/2023). Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkveranstaltung von Shmuel Barzilai (Gesang), Dominik Hellsberg (Geige) und Niko Pogonatos (Klavier). (Schluss Gedenkveranstaltung) gs
HINWEIS: Fotos von der Gedenkveranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.
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