DIE ZUNEHMENDE GEFAHR DER SPIELSUCHT WÄHREND DER PANDEMIE DIE DUNKLE SEITE DER SPIELSUCHT

Die negativen Auswirkungen der digitalen Spielsucht auf junge Menschen und die Welt der gefährlichen Spiele, die die Betroffenen bis zum Selbstmord treibt, nehmen wir mit Prof. Dr. Levent Eraslan, einem Experten des Türkischen Drogenabhängigkeits- und Drogenüberwachungszentrum (TUBIM), genauestens unter die Lupe.

Die verstärkte Nutzung von Smartphones, Tablets, PCs und Spielkonsolen brachte viele neue Probleme mit sich. Die digitale Spielsucht lässt sich bereits bei sehr jungen Menschen beobachten. Personen jeder Altersgruppe sind von diesen Spielen abhängig, daher kann von einem gemeinsamen Problem der Menschen gesprochen werden.
Untersuchungen zeigen, dass längere Computernutzung zu physiologischen Problemen wie Übergewicht und Seh- und Skelettsystemstörungen führen. Gleichzeitig belegen Forschungen, dass insbesondere gewalthaltige Computerspiele neben aggressivem Verhalten bei Kindern auch Internetsucht, asoziale Persönlichkeitsstörungen und Probleme bei der sozialen Entwicklung verursachen.
„Wenn ein von Onlinespielen beeinflusstes Kind beginnt, Gewalt als etwas Normales zu betrachten, hat es auch keine Hemmungen, diese auch in der Realität anzuwenden.“

DAS DIGITALE SKLAVENSYSTEM

Der Markt der Spielbranche entwickelt sich weiter, ihr Wert ist weltweit auf eine Milliarde Dollar gestiegen. Den Spielern werden Virtual Reality-Erfahrungen geboten, dabei handelt es sich um eine durch Softwares erzeugte künstliche Wirklichkeit, die viele „digitale Sklaven“ für sich gewinnt, also immer mehr Menschen abhängig macht. Die steigende Zahl der Gewaltspiele und der einfache Zugriff auf diese, macht es erforderlich, dass dieses Phänomen aus psychologischer, physischer, wirtschaftlicher, polizeilicher und juristischer Sicht untersucht werden muss. Anderseits steht in vielen Ländern und auch hierzulande die Bedrohung von Kindern und Jugendlichen durch gefährliche Spiele wie Blue Whale Challenge, Momo Challenge oder blaues Baby an der Tagesordnung. Sie beginnen mit der psychischen und physischen Selbstschädigung des Spielers und in manchen Fällen führen sie sogar zum Suizid. In einem Interview mit der Zeitschrift Yeşilay berichtet Prof. Dr. Levent Eraslan, Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses der TUBIM (Türkisches Drogenabhängigkeits- und Drogenüberwachungszentrum), sehr prägnant und aufschlussreich, über die gefährliche und dunkle Welt der digitalen Spiele.

Wie schaffen Spielsüchtige in der virtuellen Welt, in der sie sich befinden, eine Utopie für sich?

Diese virtuellen Welten entstehen und basieren auf einem Szenario und werden danach gespielt. Der Schauspieler, der in diesem die Hauptrolle spielt, versucht eine Welt nach Welt, nach seinen eigenen Vorstellungen zu schaffen und diese zu führen. Einer der Hauptgründe für die Spielsucht besteht darin, dass sich der Betroffene zur Gänze von seinen Problemen und den Mitmenschen in der Außenwelt isolieren möchte. Daher macht ihn die virtuelle Umgebung, in der er sich befindet, glücklich.

SÜCHTIGE WERDEN UNSENSIBEL GEGENÜBER GEWALT

Welche Gefahren bringt die beginnende Gewaltanwendung durch Kinder in der realen Welt mit sich?

Es ist zu beobachten, dass Personen, die lange Zeit Computer spielen und danach süchtig werden, sich stark mit den Spielcharakteren identifizieren, die sie in den Spielen erstellen. So sehr, dass diese Personen auch versuchen, körperlich diesen Avataren zu ähneln. Außerdem gehen besonders Kinder an ihre physischen Grenzen, weil sie sich einbilden, über die Macht und die Rechte ihrer Spielercharaktere zu verfügen. Dies führt dazu, dass Spieler ihren Realitätsbezug verlieren und folglich sich selbst und die Menschen in ihrer Umgebung psychisch und physisch schädigen. Personen, die für die Gewaltanwendung im Spiel belohnt werden und dies genießen, beginnen zu glauben, dass sie ein ähnliches Vergnügen empfinden werden, wenn sie dasselbe Verhalten auch in der Realität setzen. Ein weiterer Grund für diese Situation ist, dass jemand, der digitale Kriegsspiele spielt und dabei auf Verletzung und Tötung des gegnerischen Spielers fokussiert ist, über einen längeren Zeitraum gewalttätigen Ereignissen ausgesetzt war und daher unsensibel gegenüber Gewalttaten im wirklichen Leben geworden ist. Angesichts der blutigen und brutalen Bilder, die die Personen bei den Kriegsspielen sehen, wird für sie Gewalt zur völligen Normalität und in ihrem Unterbewusstsein beginnen sie diese zu ignorieren. Weiters spornen digitale Kriegsspiele Kinder und Jugendliche zur Gewalt an und ermutigen sie in dieser Hinsicht. Derartige Spiele führen zur zunehmenden Entwicklung von feinseligen Gefühlen, Gewalt wird als akzeptabel und lohnend betrachtet, und die Realitätswahrnehmung der Betroffenen wird verändert, was zur Konsequenz hat, dass viele Verbrechen in diesem Zustand begangen werden.
„Sämtliche Arten von Bildern, Formen, Farben, die im Spiel verwendet werden und auch alle Elemente, wie das Aussehen und die Kleidung der entworfenen Spielercharaktere, haben die Beeinflussung der Wahrnehmung und der Psyche der Spieler zum Ziel.“

Zu den Missionen, die bei den Spielen erfüllt werden müssen, gehören das Töten mit einer Waffe, der Handel mit Drogen, Entführungen und Diebstähle. Können Sie uns erzählen, wie durch diese Spiele insbesondere Kinder und Jugendliche zu Straftaten und Gewalt verleitet werden?

Wenn die Entwicklungsphase dieser Spiele abgeschlossen wird, überprüfen PEGI und ESRB nach universellen Maßstäben, ob sie für Spieler eines bestimmten Alters geeignet sind. Sie bieten eine Alterseinstufung für Computerspiele. Falls bei den erwähnten gewalthaltigen Spielen die Altersbeschränkungen von Spielern nicht eingehalten und sie daher von zu jungen Personen gespielt werden, kann dies zur Folge haben, dass sie auch in der Realität derartige Gewalthandlungen nicht mehr als verwerflich betrachten, weil dies in den besagten Spielen als Quellen des Genusses und Vergnügens dargestellt werden. Wenn ein von Onlinespielen beeinflusstes Kind beginnt, Gewalt als etwas Normales zu betrachten, hat es auch keine Hemmungen, diese auch in der Realität anzuwenden.“

DIE ROLLE DER BILDER BEI DER SUCHTENTSTEHUNG

Welche Manipulationen werden durch die im Spiel verwendeten Bilder, Formen und Farben beabsichtigt?

Sämtliche Arten von Bildern, Formen und Farben, die im Spiel verwendet werden und auch alle anderen Elemente, wie das Aussehen und die Kleidung der entworfenen Spielercharaktere, haben die Beeinflussung der Wahrnehmung und der Psyche der Spieler zum Ziel.
Diese Komponenten werden von den Spielentwicklern bewusst eingesetzt. Nachdem sie die Aufmerksamkeit der Spieler im ausreichenden Maß geweckt haben, wollen sie diese dazu bewegen, dass sie zum einen häufiger am Spiel teilnehmen und zum anderen mehr Zeit damit verbringen. Gleichzeitig sollen während des Spiels gewisse Emotionen ausgelöst werden. Beispielsweise soll die Farbe Blau dem Spieler Vertrauen vermitteln, rot hat den Zweck, Ehrgeiz und Wut entstehen zu lassen, die Farbe Grün dient zur Aufheiterung. Darüber hinaus erreichen die in den Spielen verwendeten Bilder und Formen das Lustzentrum des Gehirns, indem sie beim Spieler verschiedene Gefühle wie Neugier, Begeisterung und Glück hervorrufen.
„Derartige Spiele führen zur zunehmenden Entwicklung von feinseligen Gefühlen, Gewalt wird als akzeptabel und lohnend betrachtet, und die Realitätswahrnehmung der Betroffenen wird verändert, was zur Konsequenz hat, dass viele Verbrechen in diesem Zustand begangen werden.“

DIE GEFÄHRLICHEN SPIELE DER DIGITALEN WELT

Wie beurteilen Sie die in den letzten Jahren zu beobachtende Zunahme der gefährlichen Spiele und Applikationen in der virtuellen Welt?

Einer der Hauptgründe dafür ist fortschreitende Entwicklung der Technologie und die Tatsache, dass bei Menschen jeder Altersgruppe eine Nachfrage nach diesen Applikationen besteht. Spieldesigner, Softwareentwickler und große Unternehmen, die Onlinespiele anbieten, verdienen größere Summen in dieser Branche, das verleitet sie zur ständigen Entwicklung neuer Spiele, die sie auf den Markt bringen. Es gibt einen großen Markt für digitale Spiele, auf dem der Wettbewerb weiter zunimmt. Die Zahl der Internetnutzer nimmt täglich zu, daher werden diese Spiele von immer mehr Menschen gespielt.

Die Spiele Blue Whale Challenge, Momo Challenge und Blue Baby waren in Zusammenhang mit Kinderselbstmorden häufig an der Tagesordnung. Können Sie unter Bezugnahme darauf über das Phänomen der Virtuellen Realität und die Selbstmorde sprechen?

In der digitalen Welt können sowohl Kinder als auch Erwachsene mit vielen Gefahren konfrontiert werden. Neben illegalem Onlinewetten, Betrug im Internet und Erpressungen durch Enthüllungen stellen auch Onlinespiele eine Gefahr für Kinder und junge Menschen dar. Spiele wie Blue Whale Challenge und Blue Baby können sogar zum Suizid der Betroffenen führen. Wir haben einen Verein namens SODIMER (Verein zur Erforschung der Sicherheit in den sozialen Medien und der digitalen Welt) gegründet, in dem wir alle diese Gefahren untersuchen, die die virtuelle Welt mit sich bringt. Unsere Vereinstätigkeit setzt sich aus Schulungen, Untersuchungen und aus informativen Inhalten zusammen, die darauf abzielen, Familien und Einzelpersonen vor den Gefahren im Internet und in den sozialen Medien zu warnen.
„Spieldesigner, Softwareentwickler und große Unternehmen, die Onlinespiele anbieten, verdienen größere Summen in dieser Branche, das verleitet sie zur ständigen Entwicklung neuer Spiele, die sie auf den Markt bringen.“

CHALLENGES, ERPRESSUNG, MOBBING…

Bei unseren Forschungen haben wir festgestellt, dass einige vor kurzer Zeit auf dem Markt gekommene Spiele, wie die Blue Whale Challenge, Momo Challenge und Blue Baby, ein großes gesundheitliches Risiko für Kinder und Jugendliche darstellen und die Ursache für Selbstmorde waren. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass bei diesen Spielen gewisse Challenges zu erfüllen sind. Die im Spiel erstellten Charaktere schicken auf verschiedenen Social-Media-Plattformen Nachrichten an Kinder und Jugendliche und laden sie zum Spielen ein. Kinder und Jugendliche, die dieser Einladung folgen, beginnen die vom Spielentwickler gegebenen Aufgaben zu erfüllen, die zunehmend schwieriger werden, nach einer gewissen Zeit werden sie sogar gezwungen, die Anweisungen umzusetzen. Wenn dies nicht geschieht, werden die Kinder eingeschüchtert und beginnen zu glauben, dass bei Nichtumsetzung verschiedene Ankündigungen verwirklicht werden. Die Entwickler drohen mit Veröffentlichung der persönlichen Daten und begehen Internetstraftaten, indem sie die Opfer mit dieser Handlung erpressen. Dieser Prozess beginnt, indem am Anfang das Interesse der Kinder und der jungen Menschen am Spiel geweckt wird, sobald jedoch die Erpressungen beginnen, können die Kinder nicht aufhören, weil dramatische Konsequenzen angedroht werden.
„Im Grunde führt jede Form, jedes Bild und jede Farbe auf irgendeine Weise zur Abhängigkeit vom Spiel und hat zur Folge, dass die Spielentwickler zum einzigen Kontrollzentrum werden.“
Die Kinder, die sich noch anfangs vom Spiel angezogen fühlen, werden nach Manipulationen gezwungen, weiterzuspielen. Das ist das Ergebnis der Aggression in den sozialen Medien. Eine weiterer Grund ist, dass die erpressten Kinder aus Angst nicht mit ihren Eltern über ihre Situation sprechen möchten und weil sie glauben, nicht verstanden zu werden. Die Aufgaben, die die Kinder zu erfüllen haben, werden zunehmend schwieriger und dies führt letztendlich bei den Betroffenen zu schweren psychischen Schäden. Sie stehen unter einem enormen Druck, können niemandem von ihrer Lage erzählen, sind ständig in einem ängstlichen und panischen Zustand und dies führt zur Vereinsamung der Opfer. Die Situation wird immer bedrohlicher, mit der Zeit steigt das Niveau des Spiels, dementsprechend werden die zu erfüllenden Aufgaben immer schwieriger und bei den Opfern kommen Selbstmordgedanken. Es kann sogar gesagt werden, dass diese Spiele zum Suizid verleiten.

Welche Ziele verfolgen die Entwickler dieser Spiele?

Der Grund ist der Kontrollinstinkt der Entwickler. Diejenigen, die dieses Spiel designen, verfolgen das Ziel, die Menschen, die sie als minderwertiger betrachten, zu manipulieren, damit die Opfer die Wünsche der Spielentwickler befolgen. Die Macht, die sie in der virtuellen Welt über andere haben, bereitet ihnen Vergnügen.

„Der Grund ist der Kontrollinstinkt der Entwickler. Diejenigen, die dieses Spiel designen, verfolgen das Ziel, die Menschen, die sie als minderwertiger betrachten, zu manipulieren, damit die Opfer die Wünsche der Spielentwickler befolgen.“
„Die Kinder, die sich noch anfangs vom Spiel angezogen fühlen, werden nach Manipulationen gezwungen, weiterzuspielen. Das ist das Ergebnis der Aggression in den sozialen Medien. Ein weiterer Grund ist, dass die erpressten Kinder aus Angst nicht mit ihren Eltern über ihre Situation sprechen möchten und weil sie glauben, nicht verstanden zu werden.“

WARUM BLAU?

Warum steht bei diesen Spielen die Farbe Blau im Vordergrund?

In der Psychologie ist bekannt, dass die Farbe Blau Einsamkeit, Traurigkeit, Depression und Weisheit, Vertrauen und Loyalität symbolisiert. Mit der Verwendung dieser Farbe wollen die Spieldesigner ein Vertrauensgefühl bei ihren Opfern schaffen.

Können Sie den Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit von digitalen Spielen und Cybermobbing erläutern?

Digitale Spielsucht und Cybermobbing werden als ethisch bedenklich angesehen und werden auf häufiges Spielen zurückgeführt. Wissenschaftler untersuchen beide Phänomene, die narzisstische Instinkte im Menschen hervorrufen und den Drang auslösen, andere Menschen zu kontrollieren und sie manipulieren. Obwohl zwischen beiden kein klarer Zusammenhang besteht (Cybermobbing kommt nicht nur bei Spielen vor, sondern findet seinen Weg auch über E-Mails, Nachrichten und Chaträume), haben beide Faktoren einige Gemeinsamkeiten.

Wer ist Prof. Dr. Levent Eraslan?

Prof. Dr. Eraslan wurde in Karabük geboren, er absolvierte die Volksschule, die Mittelschule und die weiterführende Schule in Istanbul, sein Bachelor- und Masterstudium schloss er in Ankara ab. Er promovierte im Gebiet der Bildungssoziologie. In letzter Zeit forscht er im Bereich der Soziologie und der sozialen Medien. Neben seiner Tätigkeit an den Universitäten Kırıkkale, Ankara und der für Nationale Verteidigung war er außerdem an der Militärakademie ebenso als wissenschaftlicher und Universitätsprofessor tätig. Professor Eraslan hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen auf mehreren Gebieten. Er arbeitete für verschiedene Nichtregierungsorganisationen und ist Vizepräsident des Vereins AÇED (Verein zur Solidarität und der Förderung der Bildung für die von Naturkatastrophen betroffenen Kinder). Weiters ist Professor Eraslan beratendes Mitglied der Kinderstiftung und wurde zum Mitglied des wissenschaftlichen Ausschuss der Abteilung zur Bekämpfung der Drogenkriminalität in der Generaldirektion des Sicherheitswesens – TUBIM (Türkisches Drogenabhängigkeits- und Drogenüberwachungszentrum) gewählt. Mit dem Innenministerium arbeitet er an verschiedenen Projekten zur Bekämpfung der Drogensucht. Er ist Vizerektor an der Universität Anadolu. Für das Fernstudium ist er Koordinator der Abteilung für Soziologie, ferner ist er Gründungspräsident von SODIGEM (Zentrum zur Bildung, Anwendung und Untersuchung der Sicherheit in den sozialen Medien und im Internet), das im Rahmen der Universität Anadolu tätig ist. Er hat zahlreiche Fachpublikationen auf dem Gebiet der Sicherheit in den sozialen Medien und im Internet. Im September 2020 gründete Professor Eraslan den Verein SODIMER (Verein zur Erforschung der Sicherheit im Internet und in den sozialen Medien), der in der Türkei der einzige auf diesem Gebiet ist. Zum Thema soziale Medien trat er auf verschiedenen Fernsehsendern als Experte auf, er veröffentlichte 19 Bücher, etwa 100 wissenschaftliche Publikationen und erhielt drei wissenschaftliche Auszeichnungen.

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